Anmerkungen zu den Grafiken von Rolf Escher

Es ist nicht einmal fünf Jahre her, dass Rolf Escher begann, grafisch zu gestalten und mit einem künstlerischen Selbstverständnis seine Arbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und schon heute kann seinem grafischen Werk eine umfassende Ausstellung eingeräumt werden, eine Überschau, die zum Bilanzziehen verleitet. So etwas kündet von ungeheurem Fleiß, gewiss, von Hartnäckigkeit und Ausdauer, die schöpferisches Tun ebenso bedingen wie der stets gerühmte Einfallsreichtum. Die Radierungen und Zeichnungen dokumentieren jedoch mehr, nämlich wie ein Künstler die Leinwand gegen die Radierplatte vertauscht, die Farbe mit ihren Zufälligkeiten immer stärker in Vergessenheit geraten lässt, strenger und konkreter wird und über die Schärfe der in die Platte eingegrabenen Linien ein neues Verhältnis zur Wirklichkeit findet.

Rückschauend betrachtet Rolf Escher seinen Weg durch die Malerei als einen Umweg, der ihm ein besseres Verhältnis zur Fläche vermittelt habe. Die farbigen Aquatinta-Blätter des Jahres 1970 etwa stehen noch ganz unter dem Eindruck malerischer Flächengestaltung. Die Gegenstände in der Abbildung scheinen manchmal nicht mehr zu sein als Träger unterschiedlicher Farbwerte.

Fasan 1 Altersheim Ausblick Die Schwestern

Doch gerade in diesen Radierungen, die an die traditionelle Stilllebenmalerei anknüpfen und zu Travestien dieses Genres werden, ist auch schon der Grundton von Rolf Eschers gesamter bisheriger Arbeit angeschlagen: das am Rande Liegende, das Vergessene, das Nebensächliche, das Leblose, das Morbide — dies alles wird in das Bild geholt, wichtig gemacht und mit verstärkter Intensität in seiner Isolation und Funktionslosigkeit dargestellt. Der Fasan ist ebenso nutzlos und im Stadium des Vergehens und Ding-Werdens wie die menschlichen Figuren aus den Arbeiten der jüngsten Zeit. In gleichem Maße prägend ist die ganze Entwicklung hindurch die Perspektive, aus der Escher Gegenständliches abbildet: das zum Mittelpunkt erhobene Nebensächliche scheint sich immer wieder zu verselbständigen, die Bilder zu fliehen, so dass sie erneut an den Rand rücken, nur wie zufällig fixiert wirken und sich selbst in ihrer Eigenart bestätigen. So gleichen viele Arbeiten Schnappschüssen und Ausschnittvergrößerungen.

Diese Zuordnung der Gegenstände zu Fläche und Raum gehört zum Grundsätzlichen in Eschers Arbeit, denn bereits wenn er zwischen alltäglichen Beschäftigungen seine Einfälle in „Kritzel-Skizzen“ notiert, meint er nicht nur ein losgelöstes Einzelmotiv, sondern das Verhältnis von Motiv zu Raum, also das gesamte Bild. Die zur Ausführung ausgewählte Skizze gibt dann den Anstoß zur Arbeit mit den lebenden und leblosen Modellen, zum Versuch, „einen Einfall wirklich zu machen“.

Die Auseinandersetzung mit der Realität und den Fragen des Realismus wurde für Escher in dem Augenblick wichtig, in dem er neben das Radieren das Zeichnen mit dem Bleistift gleichgewichtig treten ließ und vorerst der Farbe ganz abschwor. Das sich in den Blättern tummelnde Getier wuchs förmlich, wurde übermächtig, wurde fassbarer und fand ein Verhältnis zum Raum. Die Flächen traten zurück, der Raum konturierte sich und entleerte sich zusehends. Die weiße oder nur kaum strukturierte Fläche wurde zu einem gleichgewichtigen Faktor neben der exakt ausgeführten Zeichnung. Der Schritt zu dem endlich, was Escher heute arbeitet, erscheint aus diesem Blickwinkel nur konsequent: der Raum hat sich noch stärker geweitet; die menschliche Figur ist in diese Welt aus Gerümpel und Getier getreten – nicht minder vergessen, alternd, nebensächlich und dinglich als ihre Umgebung; und schließlich hat Escher eine rein grafische Qualität erreicht. Der Umweg ist endgültig geschafft. „So wirklich wie möglich“ will Rolf Escher seine Einfälle umsetzen, seine Modelle darstellen. Der Bleistift, so meint er, „ermöglicht ein Stück Wirklichkeit“. Er arbeitet denn auch mit großer Beflissenheit und Genauigkeit an den Details, an den Hummern, Käfern, den Hut- schachteln und den Frauen mit ihrer alten Haut und dem spröden Haar. Hier fühlt sich der Grafiker gepackt, wenn er die Beschaffenheit der Oberfläche studieren und über ihre Abbildung das Verdinglichen des Belebten erkennbar machen kann. Rolf Escher zeichnet ab, möglichst genau, möglichst eindrucksvoll und doch möglichst fremd. Ob in „Die Schwestern“, „Ankunft“ oder „Ausblick“: die Bausteine aus der Welt der alten Leute passen zusammen, die Details stimmen – die Summe aber nicht. Die Wirklichkeit wird nicht abgebildet, sondern zitiert. Die in neue Zusammenhänge gestellten Zitate aber heben die Atmosphäre des Vertrauten auf. Eine neue, magische Wirklichkeit zieht herauf.

Wohl sämtliche grafischen Arbeiten sind von der äußerst knisternden Spannung zwischen hellen, lichtvollen und düsteren, schwarzen Flächen geprägt. Rolf Escher liebt es, große Flächen mit relativ groben Strichen zuzudecken, damit die aus feinen Linien und Punkten geformte Figur, die gegen die Angleichung an die öde Fläche anzukämpfen hat, sich umso deutlicher in ihrer Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit abheben kann (,‚Der Hummer“, „Ankunft“). Daneben auch Blätter, die ganz aus der Zartheit der Linien und fast nur angedeuteten Strukturierung leben. Sie knüpfen eher an das Malerische an.

Für den Radierer Escher ist auch jeder routinemäßig betriebene Schaffensvorgang ein spannungsgeladener Arbeitsprozess, in dem es erst dann zur Lösung kommt, wenn er den ersten Plattenabzug in den Händen hält. Dieser erste Abzug ist für den Künstler meist unbefriedigend. Die Arbeit an der Platte geht fort, das Vortasten in die verschiedenen Möglichkeiten der Vollendung erst richtig los. Rolf Escher hat Freude am Drucken. Auch das macht seine Grafik so gut.

Februar 1973

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