Mitteilungen aus verlassenen Häusern

AusgewiesenDer Eingang zu einem Haus aus der Gründerzeit: Vorne, auf den Platten, liegt ein zerbrochener Spiegel; nicht weit davon steht ein hochbeiniger Tisch, auf dem ein Schirm abgelegt ist; dahinter ist über die Mauer ein Mantel gelegt; zu der von einem Rundbogen gekrönten Tür führen fünf Stufen hinauf; Hausnummer und Namensschild sind von der Mauer entfernt; die Tür selbst, mit geometrischem Schnitzwerk und kunstvoll geschmiedetem Eisen vor den Glasteilen, ist durch zwei sich kreuzende Bretter brutal verschlossen.

„Ausgewiesen“ heißt diese 1973 entstandene Zeichnung (das Motiv gibt es auch als Radierung). Das Blatt könnte als Plakatvorlage für eine Denkmalschutzkampagne ausgewählt werden. Rohe Gewalt verschließt ein solides, mit kunsthandwerklichem Können ausgestaltetes Haus; zwei Bretter fügen sich zu einem Kreuz zusammen, das die Existenz eines Wohnortes ausstreicht.

Viele Betrachter haben dieses und ähnliche Blätter von alten, vom Verfall gezeichneten Häusern aus der Werkstatt Rolf Eschers so verstanden und als Hinweise auf ein gesellschaftskritisches Programm des Zeichners und Grafikers genommen. Rolf Escher hat diese kritische Perspektive sehr wohl im Bewusstsein, doch so leicht ist er nicht zu vereinnahmen.

Bleiben wir noch einen Moment bei dem Blatt „Ausgewiesen“: Die Tür, die das Zentrum des Bildes für sich beanspruchen kann, ist auf der rechten Seite angeschnitten. Das schmale hohe Bild (50 x 18,5 Zentimeter) versagt der Tür die exakte Mitte und damit die zeichnerische Unversehrtheit. So gewinnen die hingestreuten Spuren des Auszugs, der Ausweisung, an Bedeutung und spannungsreicher Kraft für die Komposition. Diese Spuren – Mantel, Tisch, Schirm und Spiegel – sind es auch, die die Zeichnung über das plakative Signal für eine politische Kampagne hinausheben. Sie verleihen dem Blatt eine erzählerische Qualität. Gemeinsam mit dem Titel umreißen sie eine Geschichte, die der Betrachter selbst auszufüllen und zu vollenden hat.

Auf diesen poetischen Gehalt wird man auch verwiesen, wenn man die Bildebene verlässt und das Verhältnis von Wirklichkeit und Abbildung untersucht. Der reine Eingangsbereich erscheint streng realistisch, wobei das in der Fotografie oft geübte Anschneiden des Hauptmotivs die Wirklichkeitswirkung verstärkt. Gleich daneben aber, auf der Hauswand, verdünnt sich diese so greifbar scheinende Wirklichkeitsdarstellung: Die Hauswand ist nur mit wenigen skizzenhaften Strichen markiert. Die zeichnerisch-gegenständliche Verdichtung von Bild-Vordergrund und Mittelgrund spiegelt uns beim flüchtigen Betrachten auch eine detailgenaue Ausführung der Randzonen vor. Das vom Zeichner Ausgesparte wird von uns unbewusst ergänzt.

Spiegel, Tisch, Schirm und Mantel erweitern die Szenerie, lassen die verrammelte Fassade zur Kulisse für ein Stillleben werden. Eben hierin unterscheiden sich die zeichnerischen und grafischen Arbeiten Rolf Eschers von jenen Eingangs-, Flur- und Treppenbildern, die nur bedrohte Architektur überliefern wollen. Escher registriert und studiert die vorgefundene Architektursituation; mit dem Skizzenstift notiert er sich die ihn interessierenden Türfassungen, Wände und Fenster; auf dem Weg über Vorstudien bis zur ausgeführten Zeichnung eignet sich Escher die Szene an, indem er in die vorgefundenen Winkel Motive seines zeichnerischen Vokabulars eindringen lässt und so die Szene mit toten Dingen belebt. Die „Treppe mit Tuch“ (1973), „Das Fenster“ (1974), „Die Treppe“ (1975), „Später Abschied“ (1975), „Finale“ (1976) und „Hommage ä Meryon“ (1979) sind einige weitere Beispiele dafür. Die Wirklichkeit wird inszeniert.

Finale„Ausgewiesen“ stand ganz am Anfang dieser Reihe. Es ist überhaupt eines der ersten Blätter, in denen sich Rolf Escher mit der Außenwelt, der architektonischen Form, auseinandergesetzt hat. Und genau mit diesem Blatt hat der Zeichner das Programm für eine ganze Reihe von Arbeiten (bis auf den heutigen Tag) umrissen. Dass die Beschäftigung mit der Architektur ausgerechnet dort beginnt, wo die Bauform von der Spitzhacke bedroht ist, hat natürlich damit zu tun, dass in unserer Zeit die Wertschätzung für ehrwürdige Gebäude mit eigentümlichen und gestaltvollen Ausbildungen besonders jung und groß ist. Dieses zeittypische Interesse mag Escher darin bestärkt haben, sich intensiv mit den Bauten zu befassen, die kurz vor ihrem Ende stehen, es hat auch dazu geführt, dass sich der Zeichner und Grafiker mit seinen Mitteln zum Zeugen bedrohter Bauten gemacht hat (Nordstadt-Projekt in Wuppertal). Die eigentlichen Gründe aber verweisen in Eschers frühes grafisches Werk.

Das verlassene Haus und der unbewohnte Raum, wo die toten Dinge zu Bewohnern und Herrschern geworden sind, gehörten auch schon zur Welt von Escher, bevor er sich den architektonischen Raum zeichnerisch aneignete. 1971 und 1972 entstanden die beiden Radierungen „Verlassene Gehäuse 1 und II“. Schachteln und Kästen sind da mit Tierknochen, Hausgerät und Tüchern zu kunstvollen Stillleben drapiert. Die Kästen mögen Behausungen gewesen sein für Käfer, Krebse, Hummer und Fischkadaver, die die frühen Radierungen Eschers bevölkerten.

Nun sind sie verschwunden. Wohin? Auch hier ergeben sich Geschichten, die sich nicht selbst erfüllen, die ausgesponnen werden wollen. Doch die Gemeinsamkeiten reichen tiefer: Rolf Escher ist ein Zeichner des Unscheinbaren, der gefangen ist von der grafischen Neigung zum Abgelegten, Ausgestoßenen, zu dem, was längst erledigt, vergessen und verdrängt scheint. Es ist für ihn eine Herausforderung, mit dem Bleistift oder der Radiernadel die Dinge des Verfalls bildnerisch zu fixieren, ihre stoffliche Struktur fühlbar zu machen und die Sache, die tote Materie, zum Leben zu erwecken.

Später Dialog auf Schloss R.Es geht weniger um die Frage, inwieweit der Zeichner dem einmal eingeschlagenen Weg treu geblieben sein mag, als um die Feststellung, dass es das grafische Interesse war, das geradezu zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit dem gebauten Raum führte. Rolf Escher zeichnet und radiert nach der Wirklichkeit. In seinem Atelier sammelt er das ausgediente, zerbrechliche, zerbrochene und dabei immer noch reizvolle Mobiliar um sich. Und er geht raus auf die Straße, vor die Häuser, in die Flure und Treppenschächte, um zu entdecken, zu notieren, um abzubilden oder um einfach sein Wissen um eigenwillige Stuckarbeiten, Fensternischen oder andere Raumsituationen zu erweitern.

Indem Escher sich diese Fundstücke zeichnerisch aneignet, sie in Beschlag nimmt, beginnt die unmerkliche Verwandlung dieser Räume, denn die Addition der Realitätsausschnitte ergibt hier keine automatische Realitätsverdichtung. Die vorgefundene Leere, auch wenn sie mitunter nur gedacht ist, schlägt um in eine neue, magische Qualität, weil da die Tücher, Spiegel, Rahmen oder Stühle aus des Zeichners Arsenal die Szene bevölkern. Die Alltagsdinge, die verstreut vor Eingängen und in Treppenhäusern liegen, so als hätte sie jemand bei einer überstürzten Flucht verloren (,‚Ausgewiesen“, „Später Abschied“, „Später Dialog im Schloss R.“), erweisen sich als Lockmittel, die das Interesse auf die Gebäude und ihre innere Gestalt lenken.

Die zugenagelte Tür in „Ausgewiesen‘“ gehört zu den Einzelfällen. Meist stehen die Türen offen, wenn Escher die Außenansicht eines Gebäudeteils vorstellt. Selten ist diese Offenheit aber einladend. Bestenfalls erhellt ein rückwärtiges Flurfenster das düstere Treppenhaus (,‚Eingang zu einem Mietshaus 2“, 1977). Ansonsten geht der Blick in die Finsternis, in der nur schwach konturierte Umrisse auszumachen sind (,‚Später Abschied“, 1975, „Finale“, 1976, „Tanzsaal Hotel Werdener Hof“, 1977, oder „Hommage ä Meryon“, 1979). Aber eben weil die Eingänge nicht einladend wirken, verlocken sie; weil man die Formen nur erahnt, möchte man sie kennenlernen. Die Neugier wird geweckt, da der Blick keinen sicheren Halt findet.

Hauseingang (Münster)1972 arbeitete Rolf Escher längere Zeit an der Radierung „Ausblick, letzter Zustand“ (Strichätzung und Aquatinta) (Abb. 50-55). Das Motiv stand fest: Ein leer geräumtes Zimmer mit einem Stapel Gerümpel in der linken vorderen Ecke, im Hintergrund ein Rahmen, aus dem die Tür ausgehängt ist, und ein alter Mann, starr sitzend, als habe er das Signal zum Aufbruch überhört. Vor allem an der Gestaltung der rückwärtigen Wand arbeitete Escher des längeren. Er entschied sich schließlich — auf dem Weg über drei Zustandsdrucke — für die leicht malerische Version mit der von Rissen gezeichneten, deckenden Grau-Einfärbung. Übrigens einer der letzten direkten Hinweise auf den einstigen Maler Escher.

Das Blatt heißt „Ausblick, letzter Zustand“. Aber wer hat hier Ausblick? Der Betrachter kaum, denn der Blick durch den offenen Türrahmen endet im Nichts, in der Schwärze. Und der alte Mann? Vielleicht sieht er etwas. Wahrscheinlich aber ist sein Ausblick nicht anders als der des Betrachters. Der Alte ist nämlich längst zum Fremden in diesem verlassenen Zimmer geworden, das er vielleicht einmal bewohnt hat. Nun droht ihm die Aussicht, selbst ein Teil des zurückgelassenen Mobiliars zu werden.

SkizzenEs ist eines der Charakteristika von Eschers Arbeiten, daß dort, wo Menschen in den Räumen auftauchen, sie nur selten belebend wirken. Die Menschen sind genauso alt geworden und beiseite geschoben wie die Dinge des Alltags. Und wo sie sich nicht den Stillleben-Szenerien angepasst haben, da sind sie schon abwesend, unbewegt einen Punkt fixierend und fremd in der eigenen Welt. Ihnen eröffnen sich höchstens nur noch scheinhafte Ausblicke. Hier schlägt Rolf Eschers Ironie durch, die es liebt, Zeichnungen und Radierungen mit gerade ins Gegenteil zielenden Titeln zu unterlegen. Den Titel „Ausblick“ hatte Escher 1972 auch einer Zeichnung beigegeben: Eine Frau sitzt vor einem geöffneten Fenster, in die Schwärze der Nacht starrend. Hat sie von der Dunkelheit mehr zu erwarten als von ihrem Zimmer, in dem sich die Koffer stapeln?

Doch hier soll keine von Escher angerissene Geschichte ausgesponnen werden. Vielmehr geht es darum, dass in diesem Bild ein durchgehendes Motiv anklingt: der verweigerte Ausblick. Im Moment ist mir nur eine Escher-Arbeit gegenwärtig, in der der Blick aus einem Raum durch ein Fenster auch wirklich nach außen gelangt — das 3. Blatt der Serie zu Franz Kafkas „Verwandlung“. Da sieht der im Sessel liegende Käfer auf eine enge, von hohen, massiven Wohnhäusern bestandene Straße. In tast allen anderen Zeichnungen und Radierungen versagen die Fensterscheiben ihren Dienst. Selbst die Spiegel reden und bezeugen da mehr.

An anderer Stelle hat Rolf Escher ausführlich dargelegt, wie sich die Komposition in der Radierung „Das Fenster“ (1974/75) durch die verschiedenen Arbeitsstufen verändert hat. Den romantischen Fensterblick auf eine liebliche Landschaft versagte Escher sich und uns. Stattdessen ließ er ein Stillleben aus übereinandergelegten Kleidungsstücken das Fensterbrett und die Aussicht einnehmen. Nicht einmal hier, wo das Fenster hochgeschoben ist, wird ein Ausblick geboten (Abb. 69). Die Fensterscheiben sind durchweg blind und lassen höchstens diffuses Licht in den Raum (,‚Auszug 2‘, 1977). Sie nehmen die gleiche Paradoxie auf, der wir bei den Eingängen und Türen begegnet sind: sie verlocken, geben aber nichts preis. Die Fenster verschließen den Blick in die Welt und lassen ihn in der Begrenzung die Fülle entdecken.

WerkstattwandAuch die Spiegel, beständige Requisiten in der Bilderwelt Eschers, sind in den jüngeren Arbeiten auf dem Weg in diese Widersprüchlichkeit. In den seltensten Fällen fangen die Spiegel Raumsituationen oder Personen ein. Häufig tauchen sie nur als Zitate auf — Rahmen mit milchigen Flächen. Erst der zerbrochene Spiegel, die Scheibe, ist wieder in der Lage, das Bild zurückzuwerfen. In der Zeichnung „Werkstattwand“ (1978) ist auf diese Weise ein faszinierendes Selbstporträt entstanden.

Rolf Escher ist ein Meister des gezeichneten Stilllebens. In seiner Hinwendung zur „nature morte“ scheint sich ihm in seinen Blättern alles zu verdinglichen, zum unbelebten, naturfernen Raum zu werden. Allerdings stimmt dies nur zum Teil, denn Eschers Raum-Kompositionen sind spannungsgeladen und gar nicht leblos. Ja, die so unbeweglichen und als tot geltenden Dinge scheinen nach dem Auszug der Menschen zum Leben, zum Spiel erwacht zu sein.
Es war schon einmal, zu Anfang, von der inszenierten Wirklichkeit die Rede. An dieser Stelle soll der Gedanke weitergeführt und muss auf eine lockere Serie aufmerksam gemacht werden, die unmissverständlich den Zeichner als einen stillen Humoristen ausweisen. Blätter wie „In Erwartung“, „Der Beschützer, „Die Hinterbliebenen 1“, „Die Versammlung“, „Das Urteil“,,, Auszug“ und „Gegenüberstellung“ gehören in diese Reihe, die 1976/77 entstanden ist.
Die Hinterbliebenen sind einzelne Möbelstücke, meist in Tücher gehüllte Stühle, die nicht von der Tristesse des Verfalls, der Verlassenheit und des Auszugs betroffen scheinen. Die Szenerie ist eher heiter und freundlich und dem Chaos der Unordnung entronnen. Die Stühle gruppieren sich nach dem Bilde des Menschen; sie treten an die Stelle des Menschen und erfüllen die Räume stärker mit Dynamik, als es die Lebewesen vermochten. Während die menschlichen Figuren in den meisten Bildern Eschers in die Randzonen abgedrängt sind, mit knapper Not ins Bild kommen, sammeln sich die Stuhlmonumente, hübsch aufgereiht, in den Bildzentren.
Jenseits dieser inhaltlichen Attraktionen ist diese Serie aber auch von einem hohen Reiz für Zeichner und Betrachter. Das uralte Motiv, das gepflegt wird, seit die ersten Faltenwürfe von Tüchern bildnerisch erfasst wurden, das Motiv der Verhüllungen und gleichzeitigen Enthüllung, der verborgenen Formen also, wird hier mit einer wahren zeichnerischen Lust aufgegriffen. Die Plastizität der Zeichnung, die die unterschiedlichen Stoffe mit ihren leichten Faltungen fühlbar werden lässt, erreicht hier einen ihrer Höhepunkte.
In der Zeichnung „ Die Hinterbliebenen 1“ haben sich zwei gleichartige, dunkel verhüllte Stühle mit einem breit ausladenden, hell verhängten Sessel zu einer Dreierkonferenz versammelt. In der „Versammlung“ ist vor eine Reihe von neun verhüllten Stühlen ein zehnter „getreten“, der in seiner Bademantel-Überdeckung wie ein Redner oder Dirigent wirkt. Am weitesten ins Phantastische vorangetrieben wird diese Szenerie in dem „Urteil“: Ein flach hingestreckter, selbst zum verlassenen Gehäuse gewordener Bademantel liegt auf dem Boden — in Distanz zu einer Fünfer-Gruppe von verhüllten Stühlen. Diese streng geordnete Stuhlgruppe wird beherrscht von einem hell gewandeten Sessel, der den Mittelplatz erhalten hat und einen alten Fotoapparat trägt, der über den Bademantel hinweg auf den Bildbetrachter gerichtet ist.
Hier weiten sich die zeichnerischen Erzählungen in groteske Poesie aus. Der magische Realismus Eschers streift den Surrealismus. Besondere Dynamik erhält diese absurd-groteske Poesie in der Zeichnung „Auszug 2“. Die sechs noch gerade sichtbaren Stühle, die sich in dem unteren Bilddrittel drängen, scheinen das Ende eines langen Auszugs zu bilden. Obwohl unbewegt, wirken sie eilig, so als drängelten sie hinaus. Stühle auf der Flucht. Also: Menschen auf der Flucht?
Es ist das Sympathische am Werk Eschers, dass es da keine Festlegungen gibt, keine Ausschließlichkeiten. Das gilt sowohl für die Interpretation des Einzelbildes als auch für den Fortgang der künstlerischen Arbeit. Die Versammlungen der Stühle ließen Rolf Escher ebenso wenig in den Verästelungen der phantastischen Kunst entschwinden wie die seltsamen Begegnungen des Zeichners mit den vorwitzigen Krebsen, Hummern und Käfern (,‚Besuch“, 1974, „Versuche, einen Krebs zu begreifen“, 1976). Doch diese Ausflüge in das Reich der Phantastik sind dringend notwendig zur künstlerischen Selbstbehauptung, zumal man immer wieder erleben muss, wie schnell dies Angebot zur Offenheit im Werk Eschers und die heitere, verschmitzte Seite übersehen werden.
Verlassener Ort1976 entstand die Radierung „Verlassener Ort“ – ein stark symmetrisch ausgerichtetes Blatt: Auf der Mitte des Tisches ein leerer Teller, auf den penibel ein Messer gelegt ist; über den dahinter stehenden Stuhl ist eine Jacke gehängt, die in ihrer Ausformung die entschwundene menschliche Gestalt immer noch andeutet. Der Mensch ist gegangen, seine Welt wohlgeordnet hinter sich lassend.

Willkürlich, verletzender und abdrängender Ausschnitt und streng symmetrische Anordnung, das sind zwei gegen- läufige Gestaltungsprinzipien, die im Werk Eschers immer wieder einander ablösen und aufeinandertreffen, die stets aufs neue Spannungselemente einbringen. „Der Hummer“ (1970), die erste ausgeführte und eine der schönsten Zeichnungen, hatte mit der klaren Ausrichtung auf die Mittelachse (die streng eingehalten und doch aufgehoben wird) ein gestalterisches Signal gegeben. Die Zeichnung verkündete darüber hinaus aber auch ein thematisches Programm: Der vom Menschen verlassene Ort findet neue Bewohner. Statt auf dem leeren Teller landet der Hummer auf dem Schrank, sich selbst zum Denkmal erhebend.

Herbst 1979

Copyright der Bilder: Rolf Escher

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