Keine Kunst aus der Steckdose? – Ein Briefwechsel

Der scheidende Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (er wird Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin) hat sich vor kurzem in einem Interview gegen den Ankauf von „Kunst aus der Steckdose“ (Film, Video, Foto-Installation) ausgesprochen. Jetzt legte er bei der Übergabe eines Gemäldes nach, das ein Künstlerfreund aus seinen Nürnberger Zeiten der Neuen Galerie geschenkt hat. Er verteidigte die Ausrichtung der Neuen Galerie auf den Sammlungsschwerpunkt Malerei und warnte die Neue Galerie davor, sich in Zukunft, von Ausnahmen abgesehen, „den Versuchungen der elektronischen Kunst auszusetzen“, wie die HNA zitierte.

Diese Erklärung widerspricht der Absicht, die Neue Galerie zu einem Museum der Moderne – mit Schwerpunkt documenta – auszubauen. Deshalb schrieben die folgenden acht kulturellen Institutionen und Vereinigungen gemeinsam einen Offenen Brief:
documenta forum e.V.
Kasseler Kunstverein
Kunsthochschule Kassel
Kunsthalle Fridericianum
Stiftung 7000 Eichen
KulturNetz Kassel e. V.
Kulturausschuss des Rotary Clubs
Kulturforum der Sozialdemokratie

Offener Brief

Herrn Direktor Dr. Michael Eissenhauer
Museumslandschaft Hessen Kassel
Schloss Wilhelmshöhe

Sehr geehrter Herr Dr. Eissenhauer,

Mit größter Verwunderung haben wir Ihre am 11. Oktober in der HNA zitierte Äußerung zur Ankaufspolitik der Neuen Galerie zur Kenntnis genommen. Demnach warnen Sie davor, sich in der Neuen Galerie, von Ausnahmen abgesehen, „den Versuchungen der elektronischen Kunst auszusetzen“. Damit diskreditieren Sie nicht nur indirekt einen Teil der jüngsten documenta-Ankäufe (von Ulrike Grossarth, Ecke Bonk, George Osodi und Hito Steyerl), sondern auch weite und zentrale Bereiche des internationalen Kunstschaffens der letzten 40 Jahre. Vor allem wirft die Warnung vor der „elektronischen Kunst“ die Frage nach dem künftigen Profil der Neuen Galerie auf, die zu einem Museum der Moderne umgebaut werden soll und in deren Zentrum Werke mit documenta-Bezug stehen sollen.

Es ist richtig, den Sammlungsauftrag für die Neue Galerie auch aus der 1779 gegründeten Akademie abzuleiten. Aus dieser Tradition lässt sich tatsächlich bis in die 50er-Jahre die Verpflichtung der Neuen Galerie, die Tafelmalerei zu sammeln, begründen. Doch die danach erfolgte Erweiterung des Kunstbegriffs sowie die Entwicklung der neuen Medien (Fotografie, Video und Installation) haben die einstige Vormachtstellung des Tafelbildes beendet – in der internationalen Szene ebenso wie an der Kunsthochschule Kassel. Ein Museum der Moderne, das die Aufgabe und einmalige Chance hat, die Entwicklung der documenta in Werken zu spiegeln, kann dies nicht annähernd leisten, wenn es sich den neuen Medien generell verschließt, zumal der Film seit 1955 ein künstlerisches Medium der documenta ist.

Es kann nicht sein, dass die Selbstverpflichtung, die Tradition des Tafelbildes – und hier verengt auf die konkrete und Farbfeld-Malerei – zu pflegen, höher bewertet wird als die Aufgabe, für die jeweilige documenta repräsentative Werke anzukaufen oder als Leihgaben für Kassel zu gewinnen. Auch versagt sich ein so ausgerichtetes Museum einer produktiven Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Fridericianum sowie dem Kasseler Kunstverein, die ebenfalls offen für die unterschiedlichsten Haltungen und Medien sind.

Wir erwarten, dass sich die Verantwortlichen zu der Neuen Galerie als einem Museum der Moderne bekennen, das für alle künstlerischen Formen und Medien, sofern sie den Qualitätsmaßstäben genügen, prinzipiell offen ist und das es als vorrangige Aufgabe ansieht, wichtige Kapitel der documenta-Geschichte zu spiegeln und dabei kenntlich zu machen, dass die documenta bei der Erweiterung des Kunstbegriffs eine führende Rolle spielte. Außerdem sollte die Neue Galerie durch Erwerbungen Eckpunkte aus der Ausstellungsgeschichte der Kunsthalle dokumentieren und die Traditionslinie der Kunsthochschule bis in die Gegenwart fortsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Darauf kam folgende Antwort:
museumslandschaft hessen kassel ::

documenta forum e. V.
Kasseler Kunstverein c/o documenta forum
Kunsthochschule Kassel Sternbergstr. 35 c
Kunsthalle Fridericianum 34121 Kassel
Stiftung 7000 Eichen
KulturNetz Kassel e. V.
Kulturausschuss des Rotary Club
Kulturforum der Sozialdemokratie Der Direktor Dr. Michael Eissenhauer

Sehr geehrte Damen und Herren,
was in vergangenen Zeiten der Pranger war, scheint heute durch “offene Briefe“
ersetzt. Mit diesem Medium versuchen Prediger des gefühlten Rechts scheinbar
unbelehrbare Zeitgenossen öffentlich anzuschwärzen und zur Räson zu bringen.
Diese Art der Gesinnungstäterei vermeidet das persönliche Gespräch und verabscheut
Differenzierungen. In dieser Tradition haben Sie, verehrte Unterzeichnerinnen
und Unterzeichner des offenen Briefes vom 13. Oktober 2008, zu keiner
Zeit, weder in den vergangenen Jahren, noch aus aktuellem Anlass, das
persönliche Gespräch mit mir gesucht. Auch vermisse ich in Ihrem Schreiben
jeglichen wohlwollenden Vorbehalt, ob Positionen in der tagesaktuellen Berichterstattung
möglicherweise verkürzt oder missverständlich wiedergegeben sein
könnten. Zudem sei angemerkt, dass außer der Arbeit von Frau Grossarth die
von Ihnen angeführten Erwerbungen (Ulrike Grossarth, Ecke Bonk, George 0sodi,
Hito Steyerl), die ich angeblich diskreditiere, in der Zeit meines Direktoriats,
in engster Abstimmung mit Frau Dr. Marianne Heinz, mit meiner ausdrücklichen
Befürwortung und zum Teil sogar aus Erwerbungsmitteln der MHK erworben
wurden.
Zusammenfassend schließe ich daraus, dass Ihnen an einer offenen, fairen und
inhaltsorientierten Debatte nicht gelegen ist. Ich nehme dies zur Kenntnis und
verbleibe
mit den allerbesten Grüßen
Ihr

Kopie z. Ktns. an
HMWK, Herr Schmitteckert
Herr Oerbürgerm&ster Hilgen
Herr Bürgermeister Junge

Antwort:
documenta forum e.V.
Dirk Schwarze Sternbergstr. 35c 34121 Kassel dirkschwarze.kassel@googlemail.com

Herrn
Dr. Michael Eissenhauer
Persönlich
Museumslandschaft Hessen Kassel
Schloss Wilhelmshöhe
34131 Kassel 28. 10. 2008

Sehr geehrter Herr Dr. Eissenhauer,

auf Grund Ihrer jüngsten öffentlichen Äußerungen zur Sammlungspolitik der Neuen Galerie, erst in einem FAZ-Interview und dann bei der Übergabe des Bildgeschenks, sind wir in Sorge um das künftige Profil der Neuen Galerie als einem Museum der Moderne mit dem Schwerpunkt documenta. Allein deshalb wählten wir die Form des Offenen Briefes, um eine öffentliche Diskussion darüber anzustoßen. Die Unterstellung, wir hätten Sie persönlich oder jemand anders an den Pranger stellen wollen, weisen wir entschieden zurück.

Unser Brief schließt das direkte Gespräch nicht aus. Wir haben in der Vergangenheit ja verschiedentlich, wie Sie wissen, aktuelle Themen auch vertraulich erörtert. Allerdings sahen wir bislang keinen Anlass, mit Ihnen über das Sammlungsprofil der Neuen Galerie zu sprechen, da wir glaubten, im Grundsatz einer Meinung mit Ihnen zu sein. Insbesondere die Ankaufs-Entscheidungen nach der jüngsten documenta bestärkten uns in der Ansicht, dass sich unter Ihrer Leitung die Sammlungspolitik geöffnet habe und Fotografie sowie neue Medien auf selbstverständliche Weise in den Bestand der Neuen Galerie aufgenommen würden.

Umso mehr waren wir überrascht, als Sie in der Schlussphase Ihrer Amtszeit mit Ihren Warnungen vor der „Kunst aus der Steckdose“ und vor den „Versuchungen elektronischer Kunst“ nachdrücklich in die Öffentlichkeit gingen. Da dabei der Eindruck entstand, Sie wollten damit Ratschläge für die künftige Entwicklung der Neuen Galerie geben, mussten wir darauf öffentlich reagieren.

Richtig ist, dass die Bestände der Neue Galerie ihre Wurzeln in der von der Malerei geprägten Akademiegeschichte haben. Doch auch die Akademie (Kunsthochschule) hat sich längst den neuen Medien geöffnet. Dieser Tatsache müsste die Sammlungspolitik der Neuen Galerie ebenso Rechnung tragen wie der Tatsache, dass es spätestens seit 1982 einen anderen dominanten Sammlungsschwerpunkt gibt – die documenta mit ihren unterschiedlichsten Manifestationen der Kunst.

Mit freundlichen Grüßen

Dirk Schwarze

documenta forum e.V.

sowie für:
Kunsthochschule Kassel
Kasseler Kunstverein
Kunsthalle Fridericianum,
Stiftung 7000 Eichen
KulturNetz Kassel
Kulturforum der Sozialdemokratie

Kopien an:
Frau Dr. Heinz
Oberbürgermeister Hilgen
Bürgermeister Junge
Günther Schmitteckert

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