Ausstellung Pitt Moog
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ein Maler zieht eine Schaffensbilanz. Unter großen Anstrengungen und mit Hilfe anderer bringt er einen prachtvollen, 420 Seiten starken Katalog zustande, der zwar längst kein Gesamtverzeichnis ist, aber doch umfassend und repräsentativ die Entwicklung und das Werk spiegelt. Um der öffentlichen Vorstellung des Kataloges den richtigen Rahmen zu geben, verabredet der Künstler eine Ausstellung, in der die gezeigten Bilder das nachprüfbar zu machen, was der Katalog mit seinen Reproduktionen und Texten verspricht. Schließlich wird die Ausstellung wie heute Abend feierlich eröffnet, und überrascht bemerkt man, dass ein Teil der Bilder nicht im Katalog verzeichnet ist, weil diese Arbeiten erst nach Fertigstellung des Kataloges geschaffen wurden.
Ja, das ist Pitt Moog. Getrieben von einer unglaublichen Kreativität malt er weiter, forscht er sich und seine Möglichkeiten aus ganz aus dem Gefühl heraus, dass noch nicht alles gesagt sei. Es ist, als müsse Moog noch um die Wahrheit des Bildes ringen, die letzte Form finden, die ihn über das Medium der Malerei mit der Schöpfung und ihrer Geschichte verbindet. Wir, die wir Pitt Moogs Bilder betrachten und bewundern, meinen, er habe doch längst schon seine Form gefunden. Doch der Künstler ist nicht so ohne weiteres zu überzeugen. Wohl weiß er, was er kann und auf einer Leinwand vermag. Doch er braucht die eigene Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit, um nicht zu erstarren oder zu wiederholen, was schon gesagt ist.
Als ich Anfang der 90er-Jahre Pitt Moog kennen lernte und sein Atelier in der Nähe von Brilon durchstreifte, hakten sich in meinem Gedächtnis zuerst die großen braunen Malereien aus den 60er-Jahren fest. Die Gemälde wirkten dunkel und schienen aus den Vorzeiten aufzutauchen. Gleichzeitig erzählten von der Moderne der Kunst, von der Überwindung der illusionären Malerei, die auf der Fläche einen Raum vortäuschen will. Diese Bilder bezeugten das Ringen, das in jener Zeit die Kunst beherrschte: Sollte die Farbe die Form vergessen und sich nach eigenen Gesetzen ausbreiten? Oder sollte sie sich figürlich verdichten und von der Welt und den Menschen erzählen?
Pitt Moog war als Student bei Arnold Bode und Fritz Winter in diese Auseinandersetzung hineingewachsen. Er konnte und wollte auf die Figuren nicht verzichten – archaische Wesen, urtümliche Menschen im Grenzbereich zum Tier. Doch diese Figuren benutzte er nur, um sich seinem eigentlichen Thema zu widmen, dem Mischen und Auftragen der Farben, dem Herausarbeiten des Lichts und dem Malen in der Fläche. Diese Gemälde bilden für mich den Anfang und stellen den damals 30-jährigen Künstler als eigenwilligen und selbstbewussten Künstler vor, der in der Auseinandersetzung mit den Abstrakten und der Art brut seine Position gefunden hat und behauptet. Zwischen den Seiten 80 und 118 des Kataloges finden Sie zahlreiche Beispiele dafür.
Genauso intensiv erinnere ich mich an eine zweite Werkgruppe, die aus der Fülle der anderen Bilder herausleuchtete, die aber nicht in den Zusammenhang zu passen schien und die mir auch heute noch fremd erscheint. Es handelt sich um die Siebdrucke und Acrylgemälde, die im Katalog ab Seite 115 unter dem Titel Okeanos vorgestellt werden. Sie sehen da Bilder voller Farbkontraste mit dekorativen Formen und eigentümlich glatten Oberflächen. Sie wirken surreal und perfekt, sie sind träumerisch und kindlich verspielt.
Zu den Okeanos-Bildern gab es später in den 80er-Jahren gelegentlich Nachklänge, so, als wäre mit großer Verspätung ein Echo zu hören. Ansonsten blieben sie ohne direkte Folgen. Doch ich glaube, dass die intensive Auseinandersetzung mit den Farbkontrasten viel dazu beigetragen hat, dass Pitt Moog danach die Farben auf seiner Palette reduzierte, um neue Harmonien zu erzeugen.
Die damals aktuellen Bilder, mit denen mich Pitt Moog bei meinem ersten Besuch konfrontierte, führten mich in eine wieder andere Welt. Sie sind weitaus heller. Da gibt es mehr Weiß und lichtes Ocker, die Brauntöne sind gedämpfter, und selbst die roten Flächen wirken transparent. Gleichwohl stellt sich eine unmittelbare Verbindung zu der ersten Werkgruppe her: Es geht nicht um die Bildillusion, um die Perfektion der Fläche, sondern um den Strudel der Farben, das Wesen der Malerei.
Auffällig an den Bildern der letzten 15 Jahre ist, dass sie sich motivisch eindeutig verorten, dass sie Bezug nehmen auf Tiergestalten und Figuren, die am Anfang unserer abendländischen Kunst stehen. Tiere, die als Felsritzungen und Höhlenmalereien hervortreten, und dazwischen menschliche Gestalten, die ihren Ort in der vorgeschichtlichen Zeit suchen. Die Welt war geschaffen, und die Menschen versuchten es, Gott gleich zu machen und ebenfalls Schöpfungen hervorzubringen. Doch sie mussten sich dabei mit der Darstellung der Wesen begnügen.
Die urtümlichen Elche, Ziegen, Panther und Zeichensetzer erscheinen uns höchst vertraut. Wir nehmen sie als Zitate und Beschwörungen wahr, als eine Erinnerung an eine Kunst, die vor unserer Geschichte entstand und die nach uns immer noch lebendig bleibt. Ein stiller Zauber geht von ihnen aus. Und damit, so scheint mir, offenbart sich ein Wesenszug von Moogs Malerei: Sie will nicht nur Schmuck oder Erinnerung sein. Vielmehr knüpft sie an die Magie der Bilder an, die wir in den Höhlen- und Felsbildern vermuten. Diese Malerei will nicht bloß an Beschwörungen erinnern, sondern sie will selbst beschwörend den unterbrochenen Kontakt zur Schöpfung wiederherstellen.
Bemerkenswert an diesen Bildern ist, dass sie die Malerei auf eine geradezu raffinierte Weise reflektieren: Für Moog ist der Umriss einer Tiergestalt genauso wichtig wie die Einfärbung des Untergrundes. Das Motiv wird aus seiner Umgebung nicht herausgelöst, sondern es wird als Teil eines geschichtlichen, das heißt der Veränderung unterworfenen Prozesses vorgestellt. Schichten stoßen aufeinander und überlagern sich. Die Schöpfung vollzog sich in Jahrhunderten und wird im Bilde festgehalten.
Gleichzeitig passiert in diesen Bildern etwas anderes: Pitt Moog führt vehement das Ende der Illusion vor. Die Einheit der Bilder ist zerbrochen. Denn wenn man die Gemälde genau betrachtet, dann lösen sie sich in Einzelteile auf. Es sind Collagen, die Bildzitate zusammenführen, neu ordnen, mit Zeichen und Schriften kombinieren und dann doch auf faszinierende Weise als Ganzes wirken. Die Welt der Mythen ist untergegangen. Pitt Moog sammelt die verstreuten Bruchstücke ein und setzt sie neu zusammen. Diese nachschöpfende Leistung führt ihn direkt in die zielbewusste Auseinandersetzung mit der Malerei. Mit spielerischer Leichtigkeit arbeitet Moog gegen die Perfektion und die Glätte an. Er malt und übermalt im Sinne der Improvisation. Hier lässt er die nahezu rohe Leinwand stehen, da klebt er fertige Bildelemente auf die Fläche und dort wieder täuscht er mit der Malerei eine Collage vor. Pitt Moog nimmt die Betrachter seiner Bilder mit in den Malprozess hinein und lässt sie die Schichten als Abenteuer erleben.
Pitt Moogs Bilder bewegen sich zwischen Auflösung und Verdichtung. Der Maler sucht immer neue Ansätze, arbeitet gegen die Routine an, setzt der Schönheit und Harmonie Sprödigkeit und Fragmentarisches entgegen und gelangt zuletzt zu Bildlösungen, die bei aller Brüchigkeit fest und souverän, notwendig und erstaunlich, vollendet und rätselhaft erscheinen.
Erst später, 1996, lernte ich eine frühe Bildserie von Pitt Moog kennen. Es handelt sich um kleine Ölgemälde, für die der Maler die Farben so stark verdünnt hatte, dass sie wie Aquarelle wirken. Moog hatte sie gemalt, als er nach seinem Studium erstmals in eine Region reiste, in der die Steine und der Staub Zeugen versunkener Mythen sind. Der junge Künstler war nach Troja gekommen und versuchte, die Essenz des Nachvollzugs der geschichtlichen Erinnerung festzuhalten. Es sind wunderbare kleine Blätter, durchscheinend und kraftvoll, monumental und frisch. Sie erzählen nicht viel, fangen aber geheimnisvolle Stimmungen ein. In dem Katalogbuch finden sie endlich ihren angemessenen Platz und werden zusammen mit Ritzzeichnungen und Aquarellen als der selbstbewusste Anfang des Malers präsentiert.
Vor zehn Jahren bat mich Pitt Moog, einen Text zu den Troja-Bildern zu schreiben. Ich war begeistert. Noch stärker als damals fasziniert mich heute, wie genau Pitt Moog in diesen Arbeiten schon sein Themenfeld gefunden und seine malerische Haltung definiert hatte. Die Tonigkeit der Kompositionen, das Zerbrechen der Bildeinheit, die malerische Umsetzung der Collagetechnik und die Hinwendung zu der vorgeschichtlichen Kunst deuten sich in den um 1960 entstandenen Bildern so klar an, dass man kaum glauben mag, dass mehr als 40 reiche Schaffensjahre und äußerst verschlungene Wege die heutigen Arbeiten von den früheren trennen.
Für mich bestätigt sich, dass im kreativen Anfang das spätere Ziel verborgen ist und dass man das erst rückschauend erkennt. Natürlich liegen Welten zwischen den Werkreihen. Die Bilder aus den vergangenen 15 Jahren sind vielschichtiger, kühner und atemberaubender geworden. Der Weg zu diesen Werken war aber schon lange angelegt. Der Mythos wird nicht nur beschworen, er wird lebendig.
Mai 2006