Zwischen Kontinuität und Experiment

Was wir von der documenta 13 zu erwarten haben

Wie ihre Vorgänger sagt Carolyn Christov-Bakargiev erst einmal nichts über ihre Vorstellungen zur kommenden documenta. Das ist für die Öffentlichkeit unbefriedigend, für die Sache selbst im Medienzeitalter aber taktisch klug. Die erfahrene Kuratorin baut auch vor: Wenn sie im Gespräch beispielhaft Künstlernamen wie Mario Merz, Andreas Siekmann oder Ai Weiwei nennt, dann fügt sie gleich dazu, dass das keine Namen seien, die sie in ihrer Ausstellung 2012 in Kassel präsentieren werde.

Gleichwohl gilt der Satz, den Jan Hoet 1992 prägte: Jeder Kurator hat schon einige Künstler im Rucksack, wenn er mit seinen Planungen beginne. Niemand fange wirklich beim Punkt Null an. In der Tat brauchte man bei Jan Hoet, Okwui Enwezor und Roger Buergel nur in die Künstlerlisten ihrer früheren Ausstellungen zu schauen, um zu erfahren, aus welchem Umkreis die nächsten documenta-Künstler kommen würden und wer möglicherweise dabei sei. Bei Catherine David lag die Sache etwas anders.

Im Fall von Carolyn Christov-Bakargiev ist es relativ einfach, ihre Methodik zu studieren, denn sie hat in diesem Jahr mit der Biennale von Sydney gerade erst eine Ausstellung vergleichbaren Kalibers organisiert. In Sydney präsentierte sie Arbeiten von 180 Künstlern. In Kassel wurden bei den drei letzten documenta-Ausstellungen jeweils nur bis zu 120 Künstler vorgestellt. Die als bedeutender als die Biennalen eingeschätzte documenta bezieht also ihre Geltung keineswegs aus der Länge der Künstlerliste.

Die documenta-Leiterin hat eine Vorliebe für thematisch ausgerichtete Ausstellungen. Der Biennale von Sydney hatte sie das Motto „Revolutions – Forms that turn“ vorangestellt. Ganz ähnlich wie Buergel, der in Kassel mit drei Leitfragen und der These von der Migration der Formen operierte, zielte Christov-Bakargiev in Sydney auf die Wechselbeziehung von Inhalt (Revolutionen, gesellschaftliche Prozesse) und Struktur (Formen, die sich verändern). Folglich wird man auch 2012 mit einer inhaltlichen Ausrichtung rechnen können.

Dabei wird sie, was die documenta-Geschichte angeht, eine vermittelnde Rolle einnehmen. Ihr ist das pauschale Konzept- und Lagerdenken (Beliebte Urteile: Jan Hoets documenta von 1992 war ein Kunstrummel, Catherine Davids documenta war fünf Jahre später eine marktferne Lehrschau) fremd. So, wie sie sich gegen die Ismen und die Vorstellung wendet, Kunst würde sich in einer Abfolge von Schulen entwickeln, so viel Wert legt sie darauf, das einzelne Werk und dessen Wirkung zu betrachten. Aus dieser Haltung ergibt sich wie von selbst eine Kontinuität – aus der Geschichte zur experimentellen Gegenwart.

Seit 1968 schließt die documenta keine Rückschau mehr auf die Kunstentwicklung der vorangeganenen Jahrzehnte mehr ein. Gleichwohl haben die künstlerischen Leiter immer wieder Rückbezüge auf frühere Epochen und ältere Künstler hergestellt. Catherine David und Roger Buergel widmeten sich außerordentlich stark der Künstlerischen Avantgarde der 60er- und 70er-Jahre. Und Okwui Enwezor bezog Altmeister wie Hanne Darboven, Leon Golub und On Kawara ein.

In Sydney präsentierte Carolyn Christov-Bakargiev eine große Zahl gut bekannter und auch schon längst gestorbener Künstler mit zum Teil weniger bekannten Positionen. Zu ihrer Künstlerliste gehörten u. a. Thomas Barle, Hans Bellmer, Joseph Beuys, Chris Burden, Marcel Duchamp, Dan Graham, Kasimir Malevich, Man Ray, Gordon Matta-Clark, Mario und Marisa Merz, Laszlo Moholy-Nagy, Bruce Nauman, Giulio Paolini, Giuseppe Penone, Michelangelo Pistoletto, Aleksandr Rodchenko, Robert Smithson, Jesus Rafael Soto, Jean Tinguely, Victor Vasarely und Lawrence Weiner. Das heißt: In Andeutungen barg die Biennale Hinweise auf die Extrempositionen des 20. Jahrhunderts.

Aus dieser Namensliste zu schließen, die Biennale von Sydney sei rückwäts gewandt gewesen, ist natürlich Unsinn. Denn daneben und dagegen standen die 80 Prozent der Künstler, die die neuere Entwicklung repräsentieren. Ohne eine gewisse historische Fundamentierung kann wahrscheinlich keine documenta auskommen.

Zur Eigenart und Problematik der documenta in Kassel gehört die Tatsache, dass sich die Ausstellung außerhalb von Fridericianum und documenta-Halle stets ihre Plätze und Räume neu suchen muss. Die Praxis von Carolyn Christov-Bakargiev zeigt, dass sie diesen Zwang als schöne Herausforderung begreifen wird. Mehrfach hat sie für ihre Ausstellungsprojekte neue und ungewohnte Orte aufgetan (so in Rom den Zoo). In Sydney ging sie mit den Biennale-Beiträgen nicht nur traditionell in Museen und Ausstellungshallen, sondern auch in Parkanlagen. Ihr größtes Experiment war es, eine ehemalige Gefängnisinsel, die für die Bewohner von Sydney zur Tabuzone geworden war, zum Ausstellungsort (mit kostenlosen Fährtransport) zu machen. Da braucht einem für Kassel nicht bange zu werden. Denn dort gibt es genügend Parks und leerstehende Fabrikhallen, das noch nie für documenta-Zwecke genutzte Oktogonschloss unter dem Herkules, das Schloss Wilhelmshöhe und vielleicht auch wieder die Neue Galerie.

10. 12. 2008

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