Doch ein „Gemischtwarenladen“?

Konzept für die Kunsthalle Fridericianum

Unmittelbar nach seiner Berufung zum Leiter der Kuristhalle Museum Fridericianum hatte sich Veit Loers zu einem Konzept bekannt, das sich auf Ausstellungen aktueller Kunst konzentriert. An kulturgeschichtliche Projekte, so sagte er entschieden, sei nicht zu denken. Ulrich Schmidt, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen, ergänzte: Das Fridericianum solle kein „Gemischtwarenladen“ werden. Ausstellungen aus dem Bestand der Kunstsammlungen sollten in der Kunsthalle nur dann gezeigt werden, wenn sie in deren Konzept paßten.
Geht das überhaupt? Läßt sich ein solches Konzept durchhalten – angesichts der riesigen Dimensionen des klassizistischen Gebäudes und der dann doch beschränkten Mittel? Ehe diese Fragen richtig zu stellen und zu beantworten waren, revidierte Loers seine Ausschließlichkeits-Position. In der Null-Nummer der „documenta press“ umreißt er seine Vorstellungen. „Leitlinie in der Kunsthalle Fridericianum wird die Kunst der Gegenwart sein‘, bekräftigt er auch hier. Doch dann fügt er hinzu: „Der Blick zurück zur Klassischen Moderne (ein Lieblingsexperiment: der späte Futurismus), die Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel (wer kennt schon deren bedeutende Sammlung ostasiatischen Porzellansl, Themen aus Geschichte und Kulturgeschichte sollen deshalb nicht vernachlässigt werden… Denn auch der Weg in die Geschichte und Kunstgeschichte kann mehr sein als ein Publikumshit.“
Das ist ein Schwenk zu einer realistischen Sichtweise. Natürlich soll und muß die Kunsthalle Fridericianum auch zwischen den documenten in erster Linie ein Haus der aktuellen Kunst sein. Auf diesem Feld könnte sie, richtig geführt, ein unverwechselbares Profil entwickeln, weil sie über unvergleichliche Raumausdehnungen verfügt. Und so wäre es faszinierend, sechs große Künstler einzuladen, jeweils in einer halben Etage einen Beitrag zu inszenieren. Dergleichen wäre aber nur einmal in zwei oder vier Jahren möglich. Doch der Alltag dazwischen sähe entschieden anders aus.
So wird Loers gar nicht umhin können, das Fridericianum gelegentlich als „Gemischtwarenladenn zu betreiben, in dem zeitgleich zur aktuellen Kunst Kultur- geschichtliches präsentiert wird. Die räumlichen Dimensionen sprechen ebenso dafür wie die finanziellen Gebote und auch die Erwartungen der Region.
Indem nämlich Kassel und Nordhessen endlich ein großes Gebäude für Wechselausstellungen hinzugewinnen, kommen auf das Fridericianum die Chance und auch die Pflicht zu, Schätze der hiesigen Kunstsammlungen zu präsentieren, die in ihren Stammhäusern zu kurz oder gar nicht vorkommen. Natürlich können nicht einfach Depot-Bestände ins Fridericianum gekarrt werden; die bedürfen vielmehr der thematischen Aufarbeitung. Werden sie dann jedoch gezeigt, so ist nicht einzusehen, warum der Aufwand nur für ein paar Wochen sichtbar werden sollte.
So ist (wie schon früher diskutiert) nur eine Doppel-Nutzung der Kunsthalle denkbar: In dem einen Teil eine langfristige (etwa zwei Jahre) Themenschau aus den Kunstsammlungen, in dem anderen kurzfristig wechselnde Ausstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Das böte genug Raum zur Profilbildung und würde dennoch unterschiedliche Besucherschichten an die Kunsthalle binden.
Das Museum Fridericianum als Kunsthalle muß ja ein doppeltes Ziel haben – neben der documenta über Kassel hinaus Strahlkraft zu gewinnen und gleichzeitig für diese Region eine zusätzliche Attraktion zu werden. Da nicht jedes Projekt auch gleich außerhalb Kassels Beachtung finden wird, ist es wichtig, das regionale Fundament breit anzulegen. So wird es auch hin und wieder eine Dienstleistungspflicht geben – beispielsweise alle drei, vier Jahre zu einer Ausstellung der hiesigen Künstler.

HNA 1. 11. 1986

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