Wird Kassel jetzt doch Stadt der Künste?

In den vergangenen Jahren kostete es unendliche Mühen, außerhalb der documenta Ausstellungen in Kassel zu ermöglichen. Selbst um kleinste Zuschüsse der Stadt mußte wochenlang gefeilscht werden, manchmal sogar vergeblich, weil einfach das Geld nicht da war. Nun aber soll auf einmal für 1,1 Millionen Mark im Museum Fridericianum ein Ausstellungsprogramm auf die Beine gestellt werden. Was ist passiert? Haben Land und Stadt im Lotto gewonnen?
Eben nicht. Die Etatengpässe sind heute nicht kleiner als gestern – und dennoch wurde die Kunsthalle Fridericianum auf den Weg gebracht. Dahinter verbirgt sich ein beispielhafter politischer Akt: Die Kultur- und Kunstförderung wird aus dem Bereich der austauschbaren Luxusgüter herausgeholt und als ein Faktor eingesetzt, der zur Entwicklung der Stadt und ihrer Region beitragen kann. Kunst, so demonstriert dieser entschiedene Einsatz der Mittel, kann auch als investive Kraft verstanden werden, die das Wachstum in einer ansonsten eher schrumpfenden Stadt befördert. Und solch ein Schub könnte die reichen, weithin aber eher stillen kulturellen Reserven der Stadt ebenfalls ins Rampenlicht befördern. Nun hat Kassel wirklich die Chance, zur Stadt der Künste und damit vielleicht auch der Kongresse zu werden.
Eine Kunsthalle Fridericianum wird natürlich nicht pausenlos Touristenströme nach Kassel locken, sie wird aber weit häufiger, als dies bisher möglich war, die Aufmerksamkeit der Kunstinteressierten hierher lenken. Die anderen Institutionen – von den Staatlichen Kunstsammlungen bis hin zur Gesamthochschule – können davon nur profitieren. Ob auch gleich die heimische Wirtschaft die Auswirkungen in barer Münze spüren kann, mag zu bezweifeln sein. Kassel muß ja erst mal das Vorurteil loswerden, ausschließlich während der 100 documenta-Tage ein attraktives Kunstreiseziel zu sein.
Doch bei der Planung der Kunsthalle darf nicht nur an das elitäre Völkchen der Kunsttouristen gedacht werden, für das es eigentlich gleich ist, ob man zur Picasso- Ausstellung nach Hamburg, Tübingen oder Berlin fahren muß. Das Ausstellungsprofil, das hier zu entwickeln ist, darf gewiß nicht provinziell sein, es darf aber auch nicht mit Blick auf andere Städte beliebig austauschbar sein. Vor allem geht es darum, mit der Kunsthalle dieser Region wichtige Themen, Werkgruppen und Künstler zugänglich zu machen. Eben die, die nicht ständig reisen können, müssen erreicht werden. Das wiederum erfordert auch intensive didaktische Begleitung.
Das Fridericianum als Kunsthalle ist für Kassel ein Gewinn. Auch die Innenstadt und der Friedrichsplatz ziehen auf Dauer ihren Nutzen daraus. Für den zentralen Platz wird das auch stadtplanerische Konsequenzen haben.

HNA 17. 5. 1986

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