Zweifel an der Verwirklichung

Der Streit um die künftige Nutzung des Museums Fridericianum zwischen den documenten stand gestern abend im Zentrum einer nahezu zweistündigen Debatte in der Stadtverordneten-Versammlung. Grundlage der Aussprache waren je ein Antrag der FDP und CDU, die am Ende mehrheitlich abgelehnt wurden. Während die FDP die Bildung eines Koordinierungsausschusses forderte, der das zwischen Stadt und Land vereinbarte Nutzungskonzept inhaltlich ausfüllen könnte, verlangte die CDU die Abkehr von dem Plan, das Fridericianum zwischen den documenten als Kunsthalle zu betreiben.

Mit Entschiedenheit setzte sich CDU-Sprecher Wolfgang Windfuhr für die Rückkehr zu dem 1979 gefundenen Kompromiß ein, nach dem das Fridericianum in ein Museum (für Technik) und eine Ausstellungshalle geteilt werden sollte. Die Verpflichtung gegenüber dem historisch Gewachsenen gebiete solch eine Lösung, zumal so in diesem ersten öffentlichen Museumsbau Europas wieder das ursprüngliche Ausstellungskonzept (Verbindung von Kunst und Technik) verwirklicht werden könnte.

Windfuhr wandte sich dagegen, das Museum Fridericianum nur noch als Kunsthalle zu sehen. Die im Zusammenhang mit dem neuen Nutzungplan vorgelegten Gedankenskizzen über mögliche Ausstellungsvorhaben nannte er „Hybris-Vorstellungen‘, die inhaltlich und finanziell nicht umzusetzen seien.
Die FDP hingegen ging von der Richtigkeit der neuen Vereinbarung aus, die im Fridericianum vorrangig das Gebäude der documenta sieht und ihr in der Zeit zwischen den documenten die Rolle einer Kunsthalle zuweist. Heidrun Wagner warnte für ihre Fraktion jedoch vor einem Nutzungsprogramm, das nur einen „Ausstellungssalat“ produziere. Um eine gute und richtige Planung zu ermöglichen, forderte sie, einen Koordinierungsausschuß zu bilden, dem die Stadt, die Staatlichen Kunstsammlungen, die Gesamthochschule, die documenta, der Kunstverein, der Bundesverband Bildender Künstler, das Theater und alternative Gruppen angehören sollten. Nach Ansicht der FDP müßte schon für die unmittelbar vor uns liegende Zeit (1984/85) eine konkrete Planung erarbeitet werden. Vorhaben wie die Grimm- und Hugenotten-Ausstellung seien zwar begrüßenswert, könnten aber nicht als Teile eines solchen Konzeptes gelten.

Stadtrat Wurbs wies derartige Wertungen energisch zurück. Beide Projekte paßten hervorragend ins Fridericianum. Im übrigen müsse man mit Blick auf die noch erforderlichen Bauarbeiten die Planung bis 1985 als ein Provisorium ansehen; die städtischen Uberlegungen zur Bespielung des Fridericianums richteten sich aber vornehmlich auf die Zeit nach der nächsten documenta. Wurbs vertrat die Ansicht, daß das skizzierte Konzept sehr wohl realisierbar sei. Mit der Überwindung des Kompromisses habe man einen ersten Schritt getan, der Mühe genug gekostet habe; nun müsse der zweite folgen – die Sicherung der Finanzierung.

Kommentar

Die große Lösung

Wahrscheinlich hatte der Magistrat auf Lob und Beifall gehofft. Hatte er nicht mit Energie und Ausdauer dafür gekämpft, den leidigen Kompromiß von 1979, der die Teilung des Museums Fridericianum in Museum und Ausstellungshalle vorsah, zugunsten einer grol3en Lösung zu überwinden? Stattdessen gab es viele skeptische und kritische Fragen, nicht nur von der CDU, die sich noch einmal und vergeblich für den alten Kompromiß ins Zeug warf.

Undank? Gewiß nicht. Es ist der Stadt (und dem Land) hoch anzurechnen, daß sie ihre eigene Entscheidung von vor fünf Jahren korrigiert hat. Die Umwidmung des Museums Fridericianum in eine Kunsthalle bedeutet keinen Kahl- schlag, wie die CDU unterstellt, sondern eine mutige Leistung.
Nur, und in dem Punkt hat auch die Opposition recht, traut man der Stadt – jenseits der documenta – nicht allzu viel zu. Schließlich gab es in den vergangenen Jahren weder finanziell noch inhaltlich- organisatorisch Ansätze zu dem großen Wurf. Man sieht auch nicht die Personen, die das leisten könnten. Wenn also die Kunsthalle Fridericianum kein leeres Versprechen bleiben soll, muß nach der politischen Entscheidung der noch größere Kraftakt folgen. Das erfordert in diesen finanzarmen Zeiten große Uberzeugungskraft – und auch Mäzene.

HNA 28. 2. 1984

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