Wem gehört das Fridericianum?

Anfang Dezember soll festgelegt werden, wie das Museum Fridericianum künftig genutzt werden soll. Es ist sicher nicht die letzte in der langen Reihe „endgültiger“ Entscheidungen.
Eigentlich war und ist alles klar: Die Stadt und das Land haben sich öffentlich eindeutig dazu erklärt, das Museum Fridericianum zwischen den documenten als ein anspruchsvolles Ausstellungsforum für zeitgenössische Kunst fortzuführen. In diesem Bekenntnis enthalten ist die Zusage an den Kunstverein, daß er weiterhin die eine Erdgeschoßhälfte für seine Zwecke nutzen kann. Aber kaum war das ausgesprochen und hatte sich auch der Kunstverein dazu bekannt, entstand neue Unruhe durch neue Uberlegungen.
Warum weckt das Fridericianum immer neue Begehrlichkeiten? Weil es das größte und traditionsreichste Gebäude im Stadtzentrum ist, weil es vorwiegend von jenen genutzt wird, denen es nicht gehört, und weil bekannt ist, daß für den gewünschten Nutzungszweck selten genug Geld da ist.
Den öffentlich größten Wirbel verursachte Oberbürgermeister Georg Lewandowski mit seinen Vorstellungen zur Museumsentwicklung, die im Grunde nur Gedanken bündeln, die andere formuliert haben (aber als Quellen nicht genannt werden). Demnach sollte der Kunstverein nach der documenta X in den Kulturbahnhof umziehen. Dann könnte der Kunsthallenbetrieb im Erdgeschoß des Fridericianums organisiert werden, während im ersten Obergeschoß erneut die „120 Meisterwerke“gezeigt werden sollten.
Langfristig weit folgenreicher könnten aber ganz andere Gedankenspiele sein: Dr. Hans Ottomeyer, der Direktor der Staatlichen Museen Kassel, nimmt den Kunsthallen-Beschluß für das Fridericianum nicht einfach als gegeben hin. Nachdem er herausgefunden hat, daß der klassizistische Bau zu seinem Hause gehört, will er auch „sein Besitzrecht“ in Anspruch nehmen und es regelmäßig (ein Drittel des Jahres) nutzen – für kulturhistorische Ausstellungen. Und dabei hat er eine Trumpfkarte, die anderen fehlt: Er kann auf gute Sponsorengelder von Wintershall hoffen, wenn seine Projekte im Gefolge des Russland-Gasgeschäftes etwas mit der russischen Kultur zu tun haben.
Gewiß denkt Ottomeyer (noch) nicht daran, die Kunst- halle zu verdrängen. Aber er will schon gerne im Fridericianum mitmischen und sich nicht mit der unzureichend klimatisierten documenta-Halle zufrieden geben. So ergeben sich ungewohnte Koalitionen: Ottomeyer findet die Idee, mit den „120 Meisterwerken“ erneut ins Fridericianum zu gehen, aus konservatorischen Gründen nicht gut. Zudem stünde die Gemälde-Ausstellung seinen eigenen Projekten im Wege.
Andererseits würde aus der Sicht der Neuen Galerie der Rückumzug der Meisterwerke begrüßt, weil sie dort wichtige Flächen beanspruchen.
Durch diese Diskussionen wird der Kunstverein ebenso zur beliebig verschiebbaren Manövriermasse wie die Kunsthalle selbst. Dabei müßte für deren Führung vom Jahr 1998 an schon jetzt ein neuer Leiter berufen sein.

Ein Streit ohne Ende

Das Museum Fridericianum wurde von 1769 bis 1779 nach Plänen von Simon Louis du Ry als erster öffentlicher Museumsbau auf dem europäischen Kontinent errichtet. Das klassizistische Gebäude nahm die Kunstsammlungen und Bibliothek auf. Ab 1913 bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1941 barg es die Landesbibliothek. 1954 begann die Diskussion über die Nutzung des Fridericianums. Seit 1955 ist es zentraler Ort der documenta. Hier die verschiedenen Vorschläge:
1954: Idee: Fridericianum wird Ausstellungsbau.
1955: Protest gegen Uberlegungen, den Museumsbau der Justizverwaltung zu übertragen. Der Magistrat erwägt, die Städtischen Kunstsammlungen und die Musikakademie dorthin zu verlagern.
1956: Gemäldegalerie soll ins Fridericianum.
1960: Erneut Diskussion über Verlegung der Musikakademie ins Fridencianum.
1962: Der Museumsplan von Prof. Herzog sieht vor, das Astronomisch-Physikalische Kabinett und das Tapetenmuseum ins Fridericianum einziehen zu lassen.
1973: Uberlegungen, ob das Fridericianum als Hochschulbau denkbar wäre. Bürgerinitiative kämpft für den richtigen Wiederaufbau von Fridencianum und Orangerie.
1976: Fridericianum als Museum oder Aussteilungshalle?
1979: Kompromiß: Fridericianum wird zur Hälfte technisches Museum, zur anderen Hälfte Ausstellungshalle.
1983: Da der Kompromiß die documenta gefährdet, gibt es eine Anhörung. Neuer Beschluß: Die Orangerie wird Technikmuseum, das Fridericianum bleibt documenta-Schauplatz.
1986: Beschluß: Fridericianum wird zwischen den documenten Kunsthalle.
1988: Kunsthallen-Start.
1992: Der Kunstverein soll ins Erdgeschoß.
1993: Der Kunstverein nimmt den Vorschlag an und zieht ein. Im gleichen Jahr entsteht die Idee, während der Sanierung von Wilhelmshöhe die Alten Meister im Fridericianum zu zeigen. Frage an den Kunstverein, ob er nicht in die documenta-Halle umziehen wolle.
1994: Mit dem Einzug der „120 Meisterwerke“ ins Fridericianum schrumpft die Kunsthalle weiter.
1996: Der Kunstverein.wiil auch nach 1997 wieder ins Fridericianum. Zugleich neue Diskussionsrunde.

HNA 20. 11. 1996

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