Der eigene Körper als Medium

Videos mit Performances von Marina Abramovic

In der Kasseler Kunsthalle Fridericianum sind in der laufenden (letzten) Woche fünf Ausstellungsprojekte parallel zu sehen. Sie führen die Vielfalt der künstlerischen Möglichkeiten vor und sie spiegeln sowohl die heiteren und unterhaltenden Seiten der Kunst wie die Formen existenzieller Auseinandersetzung.

René Block hat dieses vielschichtige Projekt in gekonnter Dramaturgie aufgebaut und stufenweise die Ausstellungen erweitert. Vom Sprachspiel führte er in die Wirklichkeit (Frage nach der Identität). Als letzter Beitrag kamen in drei Räumen sechs Video-Arbeiten von Marina Abramovic hinzu, in denen es um körperliche Grenzerfahrungen geht. Die mehrfache documenta-Teilnehmerin Abramovic hat als PerformanceKünstlerin (zeitweise mit ihrem Partner Ulay) früh begonnen, ihren Körper als Medium einzusetzen und körperliche sowie psychische Belastungen zu erproben.

Wie radikal sie denkt und arbeitet, spürt man daran, dass man als Zuschauer unruhig wird, wenn man 20 oder 30 Minuten eine Projektion betrachtet hat, in der Marina Abramovic als Akteurin zu sehen ist, aber offensichtlich nicht viel passiert. Die Ungeduld der Besucher steht im Gegensatz zur Ausdauer der Künstlerin: Jede dieser Performances, die hier filmisch dokumentiert sind, dauert sieben Stunden. Das gehört eben zum Charakter ihrer Arbeiten – das sich einer Situation und den Blicken der Besucher bis an den Rand der Erschöpfung Aussetzen. Wo es in ihren Arbeiten um Gewalt, Selbstkasteiung und auch Lust geht, steht sie das mit ihrem Körper durch. Das Leiden, das sie thematisiert, erlebt sie selbst.

Die Performance-Reihe, die in Kassel als Video-Dokumentation zu sehen ist, hat sie innerhalb einer Woche im New Yorker Guggenheim-Museum aufgeführt. Im
Fridericianum sind die Videos wie eine Abfolge großer plastischer Wandbilder zu erleben. In den meisten Fällen agiert die Künstlerin auf einem kreisrunden weißen Podest. das selbst schon ein bezwingendes Bild ergibt. Das Besondere an den Performances ist, dass es sich mit Ausnahme der Arbeit „Entering the Other Side“, in der sie wie eine winzige Puppe mit einem riesigen blauen Kleid wirkt, um Wiederaufführungen und Nachspielungen von Performances
auch anderer Künstler handelt. Doch die Aneignung spürt man kaum. Es sind ihre bezwingenden eigenen Arbeiten geworden.

HNA 9. 5. 2006

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