Eine zu stille Ausstellung

Das Museum Fridericianum als Kunsthalle

Eine zu stille. Ausstellung
„Die Kasseler Ausstellung – informativ, durchdacht, komplex und kantig – eifert also nicht, sondern registriert gelassen die Zeichen der Zeit. Nur 60 Besucher täglich waren ihr anfangs gewiß, obwohl sie doch mindestens 600 Neugierige pro Tag verdient hätte.“
Dieses Urteil des Kunstmagazins „art“ über die Eröffnungsausstellung „Schlaf der Vernunft“ in der Kasseler Kunsthalle Museum Fridericianum ist für deren Leiter Veit Loers ermutigend. Doch leider gilt auch nach wie vor die Feststellung, daß weit weniger Besucher ins Fridericianum kommen, als die Verantwortlichen ursprünglich gehofft hatten und als der Eröffnungsschau zu wünschen wäre. Um die 60 Besucher an einem Werktag, um die 200 an einem Samstag oder Sonntag, in zwei Monaten also etwas über 4000 – das ist für Loers, wie er einem Gespräch mit unserer Zeitung einräumte, ein enttäuschendes Zwischenergebnis. Die Ausstellung, die noch bis zum 23. Mai läuft, ist zu still.
Droht also das Projekt Kunsthalle in Kassel zu scheitern? Immerhin hatte der Wiesbadener Staatssekretär Kleinstück in seiner Eröffnungsrede mit überraschender Schärfe gemeint, die Annahme durch die Besucher müsse zeigen, ob das Nutzungskonzept für das Fridericianum richtig sei. Es wäre nicht nur vorschnell, sondern auch gefährlich, nun schon entsprechende Schlüsse zu ziehen.
Zum einen kann sich Loers zu Recht darauf berufen, daß der „Schlaf der Vernunft“ auch überregional von der Kritik wahrgenommen und überwiegend wohlwollend bis lobend beurteilt wurde. Zum anderen weiß man aus den Bilanzen der Kunsthallen in den Zentren wie Düsseldorf oder Frankfurt, daß Ausstellungen zur aktuellen Kunst nicht unbedingt Publikumsrenner sind. Selbst die mit einem Sonderetat auf den Weg gebrachte Schau „Prospekt“, die im Vorfeld der documenta 8 ein Bild der zeitgenössischen Kunst vermitteln wollte, erreichte nach Loers in Frankfurt nur 20 000 Besucher.
Immerhin kann sich das Fridericianum mit seinem Publikumszuspruch innerhalb der regionalen Ausstellungs- und Museumsszene sehen lassen, doch gerade über das geringe Publikumsecho aus der Region ist Loers enttäuscht. Beispielsweise sei zu einer angebotenen Sonderführung für Kunsterzieher niemand erschienen.
Den Verantwortlichen ist allerdings auch klar, daß der geforderte Eintrittspreis für eine Einzelperson in Höhe von sieben Mark in einer Stadt, in der sonst Ausstellungsbesuche kostenlos sind, zu hoch angesetzt ist. So wird zur Entlastung bereits eine Familienkarte (für zwei und mehr Personen) zu zehn Mark angeboten, und von der nächsten Ausstellung an soll die Einzelkarte fünf Mark kosten.
Loers tut gut daran, sich fürs erste nicht in seiner Planung verunsichern zu lassen. Viel mehr als die Besucherfrage drückt ihn derzeit das Etatproblem. Es werde zwar immer von einem Etat in Höhe von 2,1 Millionen Mark gesprochen, doch in Wahrheit stünde der Kunsthalle nicht einmal eine Million zur Verfügung: Eine Million Mark werde vom Land für die Bauunterhaltung des Gebäudes aufgebracht, so Loers‘ Rechnung, ganz gleich, ob das Fridericianum geöffnet sei oder nicht. Von dem übrigen Betrag würden anteilig die Kosten für das mitzuständige documenta-Büro abgezogen. Wenn man dann noch die Kosten für das eigentliche Kunsthallen-Personal und die Bewachungskräfte abziehe. blieben für den reinen Ausstellungsetat nur rund 300 000 Mark.
Mit solchen Summen arbeiten größere Kunstvereine. Damit ist in der Tat kein Haus von der Größe des Fridericianums mit Anspruch und Qualität zu bespielen. Es ist zu wünschen, daß dies die Träger (die Stadt Kassel und das Land Hessen) einsehen und zu Neuüberlegungen bereit sind

HNA 23. 4. 1988

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