Schutz der Kunst

Wiener Aktionisten und „Rot Gelb Blau“ im Fridericianum

Der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky war aus „privatem Interesse“ zur Ausstellung „Aktionsmalerei – Aktionismus: Wien 1960 – 1965“ ins Kasseler Museum Fridericianum gekommen. Die beteiligten Künstler, die heute noch in Österreich einen schweren Stand haben, hatten ihn eingeladen. Und so wurde aus dem Auftritt des Kanzlers doch ein Politikum, denn indem er sich zu dieser umstrittenen Kunst bekannte und in seiner Eröffnungsansprache versicherte, daß die Politik den Widerspruch der Kunst brauche und sie auch schützen müsse, setzte er auch für die Kunstpolitik in seinem Lande ein deutliches Zeichen.
Wenn im nächsten Frühjahr die in Kassel gestartete Ausstellung, die auch noch nach Winterthur und Edinburgh wandern soll, endlich in Wien gezeigt wird, muß sich herausstellen, wie weit die von Vranitzky beschworene Liberalität im Umgang mit der Kunst, die Normen und Tabus verletzt hat, entwickelt ist. Es gehört zu den inneren Widersprüchen dieser ersten umfassenden Bestandsaufnahme jener Frühphase der Wiener Aktionskunst, daß ein österreichischer Ausstellungsort ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Andererseits wurde das Projekt, zu dem ein 360-Seiten- Katalog (40 DM) erarbeitet wurde, nur durch die finanzielle Unterstützung des österreichischen Kultusministeriums möglich.
Ausstellungsleiter Veit Loers betonte, daß mit dieser Retrospektive erst der Startschuß zur Aufarbeitung der wenig erforschten Aktionskunst gegeben werde. In Kassel werde die Phase dokumentiert in der sich der Ausbruch aus der Malerei vollzogen habe. In der Pressekonferenz, die der Eröffnung vorausgegangen war, zeigte sich sehr schnell, daß die Wiener Aktionisten wohl gemeinsame Ursprünge hatten, daß sie aber eher durch andere zur Gruppe erklärt worden wären. Als die Künstler Günter Brus, Adolf Frohner, Otto Mühl, Herrmann Nitsch und Alfons Schilling unterschiedliche Deutungen des Begriff s Aktionismus versuchten, wurden zum Teil so große Spannungen zwischen ihnen spürbar, daß die Funken sprühten.
Während die Wiener Kunst im Erdgeschoß des Fridericianums ausgestellt wird, ist seit gestern im 1. Stock die aus Sk. Gallen kommende Schau „Rot Gelb Blau“ zu sehen. Dadurch entsteht in dem Haus ein faszinierender Kontrast: Unten die wilde, abstrakte, emotionsgeladene Malerei der Aktionisten, die in der Körperbemalung und -besudelung endet, und oben die vorwiegend kühle und strenge Kunst, die sich mit den drei Primärfarben auseinander setzt. Die Ausstellung „Rot Gelb Blau“ unternimmt einen bemerkenswerten Streifzug durch Kunstgeschichte, beginnend bei den Kubisten und Futuristen und endend in der Gegenwart.

HNA 13. 6. 1988

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