Zwischen den Stilen

„Schlaf der Vernunft“ im Museum Fridericianum

Zwischen den Stilen
Es war keine leichte Aufgabe für Veit Loers, nur wenige Monate nach der documenta 8 in dem Haus, in dem die documenta zu Weitgeltung herangewachsen ist, eine Ausstellung zu arrangieren, die von überregionaler Bedeutung ist und doch nicht in die Gefahr gerät, selbst documenta zu spielen. Erschwert wurde das Unternehmen weiterhin dadurch, daß die Ermüdungserscheinungen, unter denen auch die vorige documenta litt, nicht unbedingt als eine Fehlleistung der Ausstellungsleitung, sondern eher als eih Symptom der gegenwärtigen Kunstentwicklung begriffen wurden. Mit dem Goya-Zitat „Schlaf der Vernunft“ schien Loers genau jene aktuelle Situation zu benennen, in der die Moderne ans Ende gelangt ist und deren Nachhut erst einmal Atem holt.
Doch Loers hat sich mit seiner Premiere achtbar aus der Affäre gezogen, hat eine schöne und in Teilen anregende Ausstellung aufgebaut und hat auch in der Kunstdiskussion eine klare Position bezogen: Bei dem Versuch, ein Panorama zeitgenössischer Kunst aufzubauen, hat er sich ganz auf die Elemente Abstraktion und Konstruktion konzentriert, er hat das Figürliche (so gut wie) ausgespart und auch keinen Platz für inhaltlich-kritische Kunst gelassen. Hier geht es um Form und Farbe, um Tradition und Neuanfang.
Mit dieser Ausstellung tritt die Kunsthalle in Kassel in den Dialog der großen Kunstforen in der Bundesrepublik ein. Zugleich birgt diese Schau ein unübersehbares Plädoyer für das Museum und dessen Strukturen. Dadurch, daß jedem der zwei Dutzend Künstler ein eigener großzügiger Raum zur Verfügung gestellt werden konnte und die Bilder und Objekte raumgreifend platziert wurden, erhalten die einzelnen Werke starkes Gewicht. Das allerdings muß nicht immer zu deren Vorteil sein.
Ip der zentralen Achse des Fridercianums sind das Museum und dessen Geschichte selbst ausgestellt. Hier sieht man in schöner Vielfalt die Dinge, die den Anfang des Sammelns kennzeichnen und die eine Vorstellung von dem vermitteln, was einst eine Kunst- und Kuriositätenkammer ausmachte. Diese historischen Objekte, von denen sich einige vor 200 Jahren auch in diesem Haus befanden, leisten nicht nur Erinnerungsarbeit an die Anfänge des Fridericianums, sondern bilden auch einen frühen Reflex auf jene aktuellen künstlerischen Arbeiten, in denen vorgegebene Formen spielerisch aufgegriffen werden.
Ein gutes Beispiel dafür ist Jeff Koons: Er läßt Kleinskulpturen und Figurenkitsch als glänzende Edelstahlobjekte neu entstehen und gibt ihnen so eine witzige Würde. Diese Verwandlungskunst karikiert auch manche der 200 Jahre alten Museumsobjekte die aus volkstümlicher Nachahmung entstanden.
Die heutige Kunst bewegt sich zwischen den Stilen. Die Ausstellung allerdings gibt bei der Standortsuche den konstruktiven Tendenzen den Vorzug. Dabei gerät ganz von selbst das Werk des heute 88jährigen Cesar Domela in das Zentrum. Er schuf vor 20 Jahren aus bemaltem Holz, Messing, Kupfer und farbigem Plexiglas Reliefs, in denen die Tradition der abstrakten Komposition fortlebt und in denen zugleich aus Materialien der 50er Jahre postmoderne Bilder geschaffen werden.
Von Domelas Reliefs ist es kein großer Sprung zu den organischen Formen, die Richard Deacon als riesenhafte Objekte in den Raum stellte, In ihnen bricht sich die farbige Kraft an der Primitivität der verwendeten Materialien. Überhaupt setzen sich im Erscheinungsbild der Ausstellung die plastischen Arbeiten durch. Mauro StaccioIi baute einen gewaltigen Kreisausschnitt, dessen Massivität in spielerische Leichtigkeit umgebogen wurde; von Günther Förg sind zwei eindringlich strukturierte Brorizestelen zu sehen, Thomas Schütte schuf aus Holz ein heiteres Winterquartier für seine Freunde, und der Altmeister Bruce Nauman beweist mit seinem Lichtkorridor, daß aus dem Fundus der konstruktiven Tradition noch reich zu schöpfen ist.
Eckpunkte
Die Schau gewinnt zweifellos dadurch, daß den Werken jüngerer Künstler als Eckpunkte Arbeiten hinzugefügt wurden, die von Künstlern stammen, die in den letzten 20, 30 Jahren die Entwicklung mitprägten. Auf diese Weise werden Maßstäbe gesetzt, es werden aber auch (wie im Fall Domela) überraschende Traditionslinien sichtbar. Im Bereich der Malerei setzen die Streifenbilder von Günter Fruhtrunk Akzente. Sie treten in einen Dialog mit den Gemälden von Roy Lichtenstein, in denen Dekor und Abstraktion als bereits historische Elemente aufgegriffen und gespiegelt werden.
Eine eigene malerische Positionen nimmt Edda Renouf ein, die durch Herauslösen einzelner Fäden aus der Leinwand dem Malgrund ganz eigene und durchdringende Strukturen gibt. Klaus Merkel hingegen lenkt den Blick mit selbstversponnenen Serienbildern auf sich.

HNA 2. 3. 1988

Schreibe einen Kommentar