„Kollektive Kreativität“ in der Kunsthalle Fridericianum
Die Ausstellung Kollektive Kreativität in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum birgt ein Gegenmodell zur in Europa vorherrschenden Kunstszene. An die Stelle des allein arbeitenden und auf sich bezogenen Künstlers tritt die Gruppe als verschworene Gemeinschaft. Eine erste Vorstellung davon hatte René Block in der Ausstellung Schluchten des Balkan vermittelt, als er Kollektive wie die Gruppen Neue Slowenische Kunst oder Irwin in sein Projekt einbezog. Durch sein Balkan-Engagement lernte Block das Kuratorinnenkollektiv WHW (What, How & for Whom) kennen, das aus Ivet Curlin, Ana Devic, Natasa Ilic und Sabina Sabolovic besteht. Die vier Frauen, die in Zagreb die Städtische Galerie führen, boten sich als das ideale Team für die Ausstellung an. Sie wählten über 40 Gruppen dafür aus.
Einige Arbeiten haben basisdemokratischen Charakter. Auf Flugblättern und Plakaten, in Fotos und Filmen sind Aufrufe und Dokumentationen zu und von Aktionen zu finden. Die Verpflanzung dieser Zeugnisse, die am Ursprungsort von großer Bedeutung waren, ist nicht unproblematisch, weil die Ideen hier nicht ohne weiteres zünden und weil wir die eigenständige Form vermissen.
So kommt es doch wieder dazu, dass sich die ästhetisch ausgefeilten oder spielerischen Arbeiten nach vorne drängen und der Ausstellung zu Qualität verhelfen. Dabei kann die einfachste Umsetzung eines Gedankens schon ein kraftvolles Bild hervorbringen. Die Gruppe BijaRi hat beispielsweise für den Protest gegen die Planungs- und Umweltpolitik eine eindrückliche Form gefunden: Auf einem zylindrischen weißen Ballon steht: Estao vendendo nosso espaco aéro (Sie sind dabei, unseren Luftraum zu verkaufen).
Getragen wird die Ausstellung von Gruppen, die seit langem bekannt und in der Kunstszene präsent sind. Art & Language etwa gehört dazu. Die seit vier Jahrzehnten aktive Gruppe, deren Name für die Konzeptkunst steht, knüpft mit ihrer Arbeit an das an, was sie an gleicher Stelle 1972 zur documenta 5 zeigte. Aus den damals ausgestellten Karteikästen sind farbige Skulpturen geworden, die vor einer Farbwand präsentiert werden.
Die andere starke Gruppe ist Irwin. Man trifft ihre Arbeiten gleich an mehreren Punkten der Ausstellung an. Die in dem Kollektiv wirkenden Künstler wählen immer wieder einen Weg, um ihren kritischen Ansatz ironisch zu brechen. Und wenn sie sich mit der Gesellschaft oder Politik auseinander setzen, f inden sie sie stets einen Punkt, an dem sie sich auch an der Kunst reiben können. Ein vorzügliches Zeugnis dafür ist der Film, in dem sie ein schwarzes Quadrat aus Stoff (in Erinnerung an das Schwarze Quadrat von Malewitsch) auf dem Roten Quadrat (Platz) in Moskau ausbreiteten.
In eine ähnliche Richtung zielt die Arbeit der Gruppe Moscow Portraits. Kern des Beitrags ist die Bilderserie, in der das immer gleiche Porträt eines glatzköpfigen Mannes zu sehen ist, der ein Malewitsch-Buch anschaut. Während die Gestalt des Mannes für das alte Sowjetsystem steht, veranschaulicht der Malewitsch-Band die progressive und lange Zeit verbotene Kunst. Das Eigenwillige der Porträts ist, dass es sich um lauter Kopien verschiedener Maler handelt. Das heißt:
In diesem Fall wird das Spiel mit der individuellen Kunst so weit fortgetrieben, dass am Ende die Individualität im anonymen Kollektiv aufgeht.
Die Ausstellung ist zwangsläufig voller Widersprüche. Sie führt vor, was das Kollektiv vermag; aber sie zwingt nicht zu dem Schluss, dass die kollektive Kreativität um jeden Preis gestärkt werden müsste.
HNA 13. 5. 2005
Kunst aus der Gemeinschaftsaktion
Wir lieben das Bild von dem Künstler als einem einsamen Genie, das, getrieben durch eine innere Kraft, seine Werke produziert. Selbst die prominenten deutschen Künstlergruppen (,Die Brücke, Quadriga oder Zero) entsprachen diesem Bild, denn in ihnen blieben die einzelnen Künstler schöpferische Individuen.
Gegen diese Vorstellung tritt nun die mit Hilfe des Siemens Art Programms organisierte Ausstellung in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum an. Sie präsentiert Arbeiten von rund 40 internationalen Künstlergruppen, die der Kollektivität verpflichtet sind. Weitgehend zeichnen sich die Gruppen dadurch aus, dass sie sich der Gemeinschaftsaktion so stark verpflichtet fühlen, dass sie als Individuen (fast) völlig zurücktreten und in Einzelfällen sogar anonym bleiben.
Zu dem Konzept der Ausstellung passt, dass die Organisation und Auswahl ein Kollektiv aus Kuratorinnen besorgt hat: Ivet Curlin, Ana Devic, Natasa Ilic und Sabina Sabolovic arbeiten seit 1999 zusammen und leiten gemeinschaftlich seit 2003 eine städtische Galerie in Zagreb. Ihrem Kollektiv haben sie den Namen What, How & for Whom (Was, wie und für wen) gegeben, der schon deutlich macht, dass sie an ihrer Arbeit vor allem die gesellschaftliche Rolle der Kunst interessiert. Den Kontakt zu dem Kuratorinnen-Kollektiv knüpfte René Block im Zusammenhang mit der Ausstellung Schluchten des Balkan und seinem nachfolgenden Engagement in Ex-Jugoslawien. Dass die Thematik der kollektiven Kreativität aus südosteuropäischer Sicht beleuchtet wird, hat seinen guten Sinn: Mehr als in den am Kunstmarkt orientierten westeuropäischen Ländern ist in Ost- und Südosteuropa das kollektive Arbeiten verbreitet.
Das hat natürlich einmal damit zu tun, dass in den ehemals sozialistischen Staaten das Kollektiv ein politisch beliebtes Organisationsprinzip war. Zum anderen haben sich Künstlergruppen als Formen der politischen Auseinandersetzung und des Widerstandes gebildet. In vielen Fällen ging es in der Zeit der sozialistischen Herrschaft darum, mit künstlerischen Strategien von den Systemen geschaffene Strukturen zu unterlaufen. Ganz ähnlich verhielten und organisierten sich Künstler und Künstlergruppen in anderen Staaten mit Gewaltherrschaft. Deshalb überrascht es nicht, dass sich schwerpunktmäßig solche Kollektive in Osteuropa und Lateinamerika bildeten.
Doch die Kuratorinnen wählten weltweit aus und vergaßen auch nicht den historischen Aspekt. So waren an der documenta seit 1972 immer wieder Künstlerkollektive beteiligt. Einen Ehrenplatz innerhalb der Ausstellung erhielt die Gruppe Art & Language, die viermal an der documenta beteiligt war. Ebenso lange dabei ist das Künstlerduo Gilbert & George, das eine Sonderstellung einnimmt, weil beide zwar ein gemeinschaftliches Werk geschaffen haben, aber in allen Aktionen als handelnde Individuen erkennbar sind
HNA 30. 4. 2005