Der Glanz der Grundfarben

„Rot Gelb Blau“ in der Kunsthalle Fridericianum

Zu Beginn unseres Jahrhunderts vollzog sich die Revolution innerhalb der Kunst: Die Spiegelung der Wirklichkeit wurde nicht länger als Ziel der Malerei anerkannt, die Formensprache löste sich auf, das Malen wurde selbst zum Thema.
1939 konnte Alexander Rodtschenko rückblickend auf seine Arbeit zu Beginn der 20er Jahre schreiben: „Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht und habe drei Bilder ausgestellt: ein rotes, ein blaues und ein gelbes, und dies mit der Feststellung: Alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellung mehr geben. Jede Fläche hat bis an ihre Grenzen eine einzige Farbe!“
Damit war eigentlich alles gesagt und getan. Dennoch bedeutete dieser revolutionäre Akt, für den es zwischen 1910 und 1925 viele Parallelen gab, nicht das Ende der Malerei, selbst nicht einmal jener Malerei, die sich ausschließlich auf die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau konzentriert. Im Gegenteil: Mit der Befreiung der Malerei von ihren darstellenden Zwängen blühte eine neue Tradition auf. Im Rückblick erweist sich, daß selbst in der Beschränkung und Konzentration auf die drei Grundfarben eine überraschende Vielfalt entstehen konnte.
Den Nachweis dafür tritt jetzt die Ausstellung „Rot Gelb Blau“ im Museum Fridericianum in Kassel an, die Bernhard Bürgi zusammengestellt und zuvor in St. Gallen gezeigt hat. Die Schau bewegt sich auf einem hohen Niveau, zumal sie Schlüsselbilder zur Kunst in diesem Jahrhundert birgt – von Fernand Leger über Piet Mondrian bis hin zu Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Gerhard Richter reicht die Künstlerliste.
Die Beschränkung auf die Grundfarben Rot, Gelb und Blau setzt ein analytisches Denken und Arbeiten voraus. Schon in früheren Jahrhunderten gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Farbtheorien und vor allem Streit darum, ob Grün als vierte Grundfarbe zu gelten habe oder eben nur die Verbindung von Gelb und Blau bedeute. Der entscheidende Schritt wurde im 17. Jahrhundert vollzogen, in dem gleich mehrere Theoretiker für die Vorherrschaft der drei Farben votierten. Doch schon zwei Jahrhunderte zuvor, so dokumentiert der zur Ausstellung erschienene Katalog (192 5., 36 DM), malte beispielsweise Masaccio eine Madonna ausschließlich in den Farben Rot, Blau und Gold (Gelb).
Der Sieg der drei Grundfarben ist also keine Erfindung unseres Jahrhunderts. Allerdings gibt es gleich zwei Gründe dafür, daß in der Moderne die Lust der Künstler, sich allein mit diesen drei Farben zu beschäftigen, so stark wurde: Zum einen ist es die Befreiung der Kunst, zum anderen ist es das Vordringen der Vierfarbdrucktechnik, die den drei Grundfarben als vierte noch die Nicht-Farbe Schwarz hinzufügte.
Rodtschenko radikalisierte die Auseinandersetzung, indem er drei Farbtafeln nebeneinander hängte. Barnett Newman, Ellsworth Kelly und Max Bill bewegten sich auf ähnlichen Wegen – sie versuchten, die drei Farben allein in ein Gleichgewicht oder Spannungsverhältnis zu bringen. Die meisten anderen Künstler bezogen aber in ihre Kompositionen die Nicht-Farben Weiß, Schwarz und Grau mit ein, ließen, wie es Mondrian in seinen schönen und zugleich strengen konstruktivistischen Bildern tat, die Wirkung der drei Grundfarben durch die Lichtwerte von Weiß, Schwarz und Grau verstärken beziehungsweise dämpfen.
In der Ausstellung herrschen erwartungsgemäß die streng gebauten Bilder vor. Doch auch unter den konstruktivistischen Kompositionen gibt es eine solche Vielfalt, eine so überraschende Klarheit der Handschriften, daß die Schau in keinem Teil ihre Spannung verliert. Eine besondere Delikatesse bilden die beiden frühen kleinen Meisterwerke von Leger und Severini mit ihren kubistisch-dynamischen Formen. Den Gegenpol zu den in der Mehrzahl abstrakten Arbeiten stellen die plakativen Bilder von Lichtenstein und Gilbert & George dar, die die reproduzierte menschliche Figur in das Spiel mit Rot, Gelb und Blau eintauchen.
Faszinierend ist auch Sol LeWitts siebenteilige. riesige Wandmalerei, bei der die Grundfarben erst nebeneinander und dann übereinander kombiniert werden. Raymönd Hains hingegen gewann das Farben-Trio vor 30 Jahren dadurch, daß er von Holzlatten Plakate so abriß, daß die entsprechenden farbigen Papierreste kleben blieben. Daß Rodtschenko keineswegs das letzte Wort behält, führt auch Gerhard Richter vor: In einem Bild vermalte er die drei Grundfarben derart, daß eine bräunlich schillernde Masse entstand; in einem anderen Gemälde beschwor er das Gegenbild zur Farbigkeit und schuf eine total graue Fläche.
Die Ausstellung lehrt, die Kunst unseres Jahrhunderts neu zu betrachten

HNA 18. 6. 1988

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