Was bleibt, ist das Bild

„Aktionsmalerei – Aktionismus“ im Fridericianum

Größer könnten die Gegensätze zwischen zwei Ausstellungen unter einem Dach nicht sein, als sie derzeit im Kasseler Museum Fridericianum herrschen: Während im ersten Obergeschoß die analytische Kühle und die strenge Harmonie der Konstruktivisten die Ausstellung „Rot Gelb Blau“ prägen, tauchen die Besucher eine Etage tiefer in eine Bilderschau ein, die vom besessenen Widerstand gegen die traditionelle Malerei und gegen alle gesellschaftlichen Tabus zeugt. Eine zufällige, aber sinnvolle Ergänzung, die die Sinne mobilisiert.
In der Ausstellung „Aktionsmalerei – Aktionismus – Wien 1960-1965“ wird ein skandalumwittertes Kapitel der Kunstgeschichte aufgeschlagen. Proteste, Tumulte und Festnahmen markieren den Weg, den die sechs Wiener Künstler damals gegangen sind. Sie suchten den Ausbruch aus der Malerei und aus der gesellschaftlichen Norm; sie wollten nicht länger meditative Bilder malen, sondern direkt, in der Aktion, gestalten. Dabei zielten sie darauf ab, bis an die Schmerzgrenzen der Gefühle vorzudringen. Sie holten alles hervor, was verdrängt und verboten war: Statt die Schönheit zu suchen, wühlten sie in Farben und Schmutz, ließen kindlichen Lüsten freien Lauf, entdeckten den Körper als Malobjekt, spielten Angst- und Gewaltvorstellungen (bis hin zu Kreuzigungs- und Kastrations-Szenen) in Aktionen aus und inszenierten rituelle, scheinbar religiöse Opferhandlungen. Männliche Angste und Phantasien wurden ausgelebt, die Kunst wurde zum Ventil für Todeserfahrungen.
Günter Brus empfindet rückblickend diese provokativen öffentlichen Auftritte als Aktionen mit therapeutischer Wirkung. Er selbst ist längst über die Aktion zur Malerei zurückgekehrt. Hermann Nitsch hingegen, der seit 1957 die Idee eines „Orgien Mysterien Theaters“ verfolgt, und Otto Mühl haben konsequent ihre Körper- und Ritualaktionen mit anderen Mitspielern fortgesetzt. Überhaupt gingen die sechs Künstler sehr unterschiedliche Wege. Insofern treffen die pauschalen Beschreibungen, wie sie hier aus Platzgründen vorgenommen werden müssen, nur bedingt für alle Künstler zu.
Die Geschichte dieser Aktionskunst wird umfassend in dem zu der Kasseler Ausstellung erschienenen Katalog aufgearbeitet (Ritter Verlag, Klagenfurt, 360 S., 40 DM). Im Katalog kann man nacherleben, als wie zerstörerisch der versuchte Ausstieg aus der Malerei im Wien der 60er empfunden wurde. Umso überraschter registriert man im Museum Fridericianum, wie stark die Ausstellung über die Anfänge der Aktionskunst zu einer ästhetischen Gemäldeschau geraten ist. Was bleibt, ist das Bild.
Es ist eine außerordentlich vitale und spannungsreiche Dokumentation der Malerei entstanden – mit Bildern, die ungestümer und herausfordernder wirken als die Werke der jungen Wilden, die 20 Jahre später antraten. Günter Brus, Alfons Schilling und Hermann Nitsch haben mit ihren impulsiven und gestischen Bildern, die den Automatismus und den Zufall mit einbezogen, die freie, gestische Malerei um ganz wesentliche Momente bereichert. Eine Sonderstellung nimmt Nitsch dadurch ein, daß er auch außerhalb seiner Schlachtaktionen in seinen Schüttbildern mit blutroter Farbe arbeitete und insofern stets die Gedankenverbindung zum Opferkult aufrecht hielt.
Auch die rohen Gerümpelobjekte von Otto Mühl und die von der Gewalt gezeichneten Materialskulpturen von Adolf Frohner gewinnen in diesem musealen Umfeld ästhetische Kraft. Allein die jeweils in die Flügelräume gehängten Fotodokumentationen der Aktionen von Brus, Nitsch und Rudolf Schwarzkogler bewahren ihre irritierende, schmerzhafte und tabuverletzende Sprache.

HNA 30. 6. 1988

Schreibe einen Kommentar