Richard Paul Lohse, Gereon Lepper und Wilhelm Mundt im Fridericianum
Unten pustets einem um die Ohren, oben versinkt man im Meer der reinen Farben. Das Museum Fridericianum in Kassel beendet sein erstes Kunsthallenjahr mit einer Doppelausstellung, die wiederum zwei Extreme künstlerischen Gestaltens vereint: Im Obergeschoß wird das malerische .Werk des Schweizers Richard Paul Lohse gezeigt; in den Erdgeschoßräumen haben die beiden Düsseldorfer Künstler Gereon Lepper (Jahrgang 1956) und Wilhelm Mundt (Jahrgang 1959) Objekte und Installationen aufgebaut, die sich sehr weit vom herkömmlichen Skulpturbegriff entfernen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Werkgruppen der beiden hier noch ausführlicher gewürdigt werden.
Vorweg sei nur gesagt, daß Leppers Arbeiten aufgrund ihrer faszinierenden Technik sicher schnell zu Publikumsrennern werden, da die Objekte auf Knopfdruck ihre Starre abstreifen: In runden, mit Wasser gefüllten Zinkwannen werden kaum sichtbare Kautschukschläuche soweit aufgeblasen, daß sie schließlich wie Ufos über dem Wasser schweben; und zwei mit Motoren und Propellern ausgestattete Flügel, die von einem zentralen Gestänge auf den Boden hängen, erheben sich und rotieren mit rasender Geschwindigkeit um die Achse, wenn die Steuerung in Gang gesetzt ist.
Lepper setzt aber nicht nur auf die technische Perfektion. Er holt die Elemente unserer Welt zusammen, Wind und Wasser werden in massive Formen gezwungen oder freigesetzt, werden zu Formgestaltern gemacht, die schier Unvereinbares verschmelzen. Andererseits werden in den Kunstraum Alltagserfahrungen (die Mischung aus Schrecken und Bewunderung beim Flugzeugstart) hereingeholt.
Die Doppelausstellung ist nur unter großen Mühen und in letzter Minute zustande gekommen, da dem Fridericianum die finanzielle Luft ausgegangen war. Sehr bald hatte sich nämlich gezeigt, daß von den 1,1 Millionen Mark, die als Ausstellungsetat gepriesen wurden, nur ein gutes Drittel für den reinen Ausstellungsbetrieb blieb. Damit kann man in einem Haus von dieser Größe und mit diesem Anspruch wahrhaft keine großen Sprünge machen.
Umso erfreulicher ist, daß Johanna Lohse James das Vermächtnis ihres am 8. September gestorbenen Vaters Richard Paul Lohse erfüllte und dem Fridericianum ermöglichte, zu relativ günstigen Bedingungen, die Ausstellung aus Grenoble zu übernehmen, die das Gesamtwerk des Schweizer Malers würdigt. Diese repräsentative Schau dokumentiert ein wohl einzigartiges Werk: Vier Jahrzehnte lang widmete sich Lohse dem Dialog der reinen Farben,
erprobte er sich durchkreuzende Farbreihungen, ohne einer Farbe den Vorzug zu geben, ohne der Emotion und Geste die Mitgestaltung zu erlauben und
ohne etwas anderes darzustellen als Rot, Gelb, Blau und Grün sowie die Zwischentönungen.
Lohse träumte davon, ein ganz und gar demokratischer Maler zu sein, der allen Farben gleiches Gewicht zumisst. Einmal gewählten Prinzipien (Rechteck, Quadrat, Streifen) gestand er zu, die Logik der Kompositionen festzulegen. Er wollte sich aus seiner eigenen Malerei heraushalten, in ihr nicht wieder erkennbar werden. Doch gerade diese durch Jahrzehnte geübte Konsequenz ließ eine unverwechselbare Handschrift entstehen, streng und bei aller festen Ordnung höchst vital. Am meisten überrascht daher Vielfalt der Dialoge, die Lohse geschaffen hat. Mit vielen Bildern hat er sich mehrfach auseinander gesetzt. So lassen sich nicht immer Entwicklungslinien ablesen.
Es wird aber sichtbar, dass sin in der letzten Zeit die Palette noch stärker aufhellte und intensivierte; das Licht ließ die Farben aufleuchten und die Leinwände zu Farbkörpern werden. In dem Bild Neunmal vier rot-grüne Gruppen führt der Hell-Dunkel-Wechsel von gleichartigen Streifen dazu, daß die Komposition in den Raum zu knicken und zu wachsen scheint.
Die Ausstellung breitet ein bewunderswertes Werk aus, das aus dem Prinzip Rationalität Leben erweckt. Sie stellt auch Arbeitsbeispiele aus Lohses Brotberuf (Plakat- und Buchgrafik) vor. Ein Videofilm führt in das Schaffen Lohses ein.
HNA 22. 10. 1988