Zusatzausstellung: Fotogramme im Fridericianum
Bildauffrischung im Kasseler Museum Fridericianum: Erstmals werden parallel zu einer uber mehrere Monate laufenden, recht schwerblütigen Ausstellung (,Reflexion 1789 – 1989) kurzfristig Arbeiten gezeigt, die keinen hohen Kunstanspruch erheben, sondern eine eher experimentelle Situation herstellen, Unter dem Titel Auf der Suche nach Schlemihls Schatten zeigen bis zum 14. Mai 27 Studenten des Kasseler Plakatgestalters Prof. Gunter Rambow großformatige Fotogramme. Vom 5. bis 14. Mai folgt unter dem Motto Lausige Schatten ein weiteres Ausstellungsprojekt von Kasseler Studenten.
Dem Fridericianum tut diese Öffnung gut. Indem diese Kunsthalle zwischen den docunienten nicht nur Ereignisraum für anspruchsvolle Ausstellungen, sondern auch Werkstatt und Experimentierfeld ist, gewinnt sie an Lebendigkeit und zusätzlicher Attraktivität. Die Ausstellung der Fotogramme, die überraschend klar und vital die Wände und Räume erobern, sollte sowohl die Studenten als auch das Fridericianum ermutigen, den jeweils eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen.
Das Fotogramm ist die ursprünglichste Förm der Fotografie, denn um es herzustellen, bedarf es keiner Kamera: Ein Gegenstand, der lange genug im Tageslicht auf lichtempfindlichem Papier liegt, bildet sich darauf selbst ab. Benutzt man hochempfindliches Fotopapier zu solchen Direktbildern, dann kann man auch mit kurzen Belichtungszeiten auskommen.
Es waren Künstler, die im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zuerst die Technik des Fotogramms zur Ausformung einer eigenen Bildsprache nutzbar machten – Christian Schad und Man Ray. Ihrem Beispiel folgten viele. Der Maler und Fotograf Lazlo Moholy-Nagy folgerte aus der eigenen Beschäftigung mit dem Fotogramm, daß nicht die Kamera, sondern die lichtempfindliche Schicht das eigentliche Werkzeug der Fotografie sei.
Seit ihrer Erfindung vor 150 Jahren wird die Fotografie als das Medium gerühmt, das das am schnellsten Vergängliche der Welt, den Schatten (und damit indirekt die Zeit), fixieren und dokumentieren kann. Daher wird immer wieder beim Nachdenken über die Fotografie und ihre Möglichkeiten die Verbindung zu Adelbert von Chamissos Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte hergestellt, die von einem Mann handelt, der seinen Schatten dem Teufel verkaufte und dem so auch die Zeit abhanden kam.
Das Fotogramm nun erscheint innerhalb der Fotografie als die Technik, die dazu ausersehen ist, das verlorene zweite Ich Schlemihls wiederzufinden, denn im Schatten bilden sich die Dinge nur indirekt ab. Doch während der Schatten in der Wirklichkeit lichtlos, also grau bis schwarz erscheint, bleibt er im Fotogramm gewöhnlich weiß – weil keine Umkehrung erfolgt. Die Kasseler Studenten demonstrieren in der Ausstellung die schier unbegrenzten Möglichkeiten des Fotogramms, wobei die großen, wandfüllenden Formate noch zusätzlich den Spielraum zu erweitern scheinen.
Wenige Wochen zuvor hingen in diesen Räumen die Gemälde von Pierre Soulages. Anke Wenderoths Schlammogramm erscheint wie ein Widerschein dieser Malerei. Auch die Arbeiten von Christiane Eichner und Hannes Homann sind Bilder, die man im Zusammenhang mit der abstrakten Malerei betrachten möchte. Im Gegensatz dazu entführt Dirk Bleicker in die Welt der Pop-art: Schwarz auf Weiß bzw. Weiß auf Schwarz bildet er in riesigen dreiteiligen Bildern (aufgerastert) Pistolen und einen Rennwagen ab.
Auf der Suche nach Schlemihls Schatten wirken die Arbeiten besonders reizvoll, in denen sich menschliche Figuren als flüchtige weiße Schatten abbilden. Das Leben ist eines Schattens Traum heißt eine mehrteilige Arbeit von Sabine Hecher, Bettina Küllmer und Siggi Ortwein, in der eine weiße laufende und springende Figur in eine Kreisbewegung oder einen Kegel gezwungen wird. Mal ist ein Blitz, mal eine Taschenlampe, mal der Vollmond die Lichtquelle. Nichts, so meint man, kann sich seinem eigenen Abbild entziehen. Selbst das flache, gestörte Gewässer produziert spannende Schatten und Reflexe, wird nur im entscheidenden Moment geblitzt.
HNA 4. 5. 1989