Kein Geld für Ausstellungen?

Stadt Kassel hält Vertrag nicht ein

Bleibt es beim Etatansatz der Stadt für das Museum Fridericianum, bricht das Ausstellungsprogramm der Kunsthalle in sich zusammen. Dann könnte René Block seine Arbeit einstellen.

Stolz präsentierten sich die Vertreter von Stadt und Land nach einer documenta-Aufsichtsratssitzung im Dezember 1996 der Presse: Nach einer langen Zeit der Kürzungen, Provisorien und Ungewißheiten hatten sich beide Seiten auf einen neuen Nutzungsvertrag für das Museum Fridericianum geeinigt, der seit dem 1. Januar 1998 für zehn Jahre gelten soll. Kern des Vertrages ist, das Fridericianurn zwischen den documenten als Kunsthalle auf hohem Niveau und mit Strahlkraft zu bespielen. Deshalb einigten sich die beiden Seiten, von den früher gefaßten Beschlüssen über Mittelkürzungen abzusehen. Und so erklärten sie sich bereit, jeweils 1,05 Millionen Mark pro Jahr der documenta GmbH zur Verfügung zu stellen.
Von diesen 2,1 Millionen Mark werden 800 000 Mark für die documenta-Geschäftsführung samt Vor- und Nachbereitung der documenta gebraucht. Weitere rund 650 000 Mark werden für die Personal- und Sachkosten der Kunsthalle angesetzt. so daß für Ausstellungen ebenfalls rund 650 000 Mark bleiben.
Dieser Vertrag, das wussten die Beteiligten, setzt sich über das 1994 beschlossene Konsolidierungskonzept der Stadt hinweg, das vorsah, in den Jahren, in denen keine documenta stattfindet, der documenta GmbH nur 625 000 Mark zu überweisen. Auch jetzt stehen für 1998 nur diese 625 000 Mark im städtischen Haushaltsplan. Bliebe es bei der Etat-Verabschiedung dabei, würde das Land seinen Beitrag auch auf diesen Anteil vermindern. Das aber bedeutete, daß der documenta GmbH für den Betrieb der Kunsthalle 850 000 Mark fehlen würden – mehr als das, was das Ausstellungsprogramm kostet. Man hätte den Apparat für den Ausstellungsbetrieb, aber kein Geld für die Inhalte.
Nun haben aber Stadt und Land gemeinsam im documenta-Aufsichtsrat auf Grund der Etatzusage von insgesamt 2,1 Millionen Mark den früheren Galeristen und international gefragten Ausstellungsmacher René Block im Sommer vorigen Jahres als Kunsthallenleiter bestellt und mit der Entwicklung eines hochrangigen Programms beauftragt. Block hat diesen Auftrag angenommen, weil ihn die Arbeit im Geburtshaus der documenta, im Fridericianum, reizte und weil er weiß, welchen Namen dieser Ort international dank der documenta hat. Und so sah Block auch darüber hinweg, daß der ihm zugesagte Etat von rund 625 000 Mark eigentlich in keinem Verhältnis zur Größe des Hauses steht.
Mittlerweile hat Block auch ein faszinierendes Programm entwickelt, das sich erstmals konsequent über einen Vier-Jahres-Zeitraum erstrecken und sich immer wieder auf das Haus und die Stadt beziehen soll. Das Leitthema für Block heißt „Peripherie“: Er will in Ausstellungen Künstlerinnen und Künstler vorstellen, die sich am Rande der westlichen Kunstszene bewegen. Das können einmal Künstler aus Arabien, Afrika und Asien sein, die einen Dialog mit der Westkunst begonnen haben, es können aber auch Künstler sein, die in Europa oder Amerika zu Randfiguren geworden sind.
Die erste Ausstellung mit dem Titel „Echolot“, die vom 22. März bis 7. Juni laufen soll, ist diesem Thema verpflichtet: Vorgestellt werden Arbeiten von zehn Künstlerinnen, die aus Afrika, Arabien, Asien und Australien stammen und in ihrem Schaffen Bezüge zu ihrer Kultur mit der Sprache westlicher Kunst verbinden. Sollte es bei dem reduzierten Etatansatz bleiben, wäre nach dieser mittlerweile fest verabredeten Ausstellung im Fridericianum Schluß. Dann hätte Block kein Geld mehr, um weitere Projekte durchzuführen.
René Block jedoch hat ein spannendes Programm geplant: So will er in jedem Jahr ein kleineres Projekt mit einem früheren documenta-Macher veranstalten. Außerdem hat er vor, die junge Szene der dänischen Kunst vorzustellen Ferner plant er noch für diese Jahr eine Ausstellung mit Arbeiten von Richard Hamilton und dem vor wenigen Tagen gestorbenen Künstler KP Brehmer, der 1972 mit einer politisch-kritischen Arbeit an der documetita beteiligt war. Weitere Projekte sind: Ausstellungen mit Arbeiten von Robert Watts, Ubersichten über neuseeländische und koreanische Kunst sowie eine Schau, in der deutsche und europäische Hochschulabsolventen vorgestellt werden. Videoprogramme und Verknüpfungen von Kunst und Musik sollen dazu kommen.
Doch alle diese Planungen bleiben Träume, wenn die Stadt Kassel den 1996 geschlossenen Vertrag nicht erfüllen wird.

Kommentar

Ehrlichkeit verlangt

Die Lage der öffentlichen Finanzen in Kassel ist katastrophal. Seit Jahren wird an Konzepten gebastelt, die eine Konsolidierung der Finanzen ermöglichen sollen. So stehen in vielen Bereichen Kürzungen an. Sie müssen auch aus Verantwortung gegenüber der Zukunft erfolgen. Trotzdem kann und muß man Schwerpunkte setzen, um die Lebensqualität der Stadt nicht völlig dem Rotstift-Spiel auszuliefern.
Als 1995 und 1996 der Etat für das Fridericianum zusammenstrichen wurde, gab es nicht wenige Kunstfreunde, die meinten, nun könne man die Kunsthalle vergessen. Dann aber kam der denkwürdige Dezember 1996, in dem sich die Vertreter von Stadt und Land einen Ruck gaben und die Weichen dafür stellten, um Kassel auch zwischen den documenten zu einer Kunstadresse werden zu lassen. Und in dem Moment, in dem René Block als Kunsthallenleiter verpflichtet wurde, war aus dem Versprechen eine Zusage geworden.
Das heißt: Entweder wurde Block unter falschen Voraussetzungen nach Kassel geholt. Dann mußte man sich bei ihm entschuldigen und ihn gehen lassen. Oder die Zusage war ernst gemeint. Dann müßte die haushaltsrechtliche Konsequenz für die Zeit bis zum Jahr 2001 gezogen und der städtische Beitrag zur documenta GmbH auf 1,05 Millionen Mark angehoben werden.
Es wird nun ein ehrliches Bekenntnis verlangt: Will man in der documentalosen Zeit ein qualifiziertes und spannendes Programm (das verspricht Block in der Tat) oder will man nur eine Briefkastenadresse? Sollte Letzteres gelten, mußte man den Gedanken an eine Kunsthalle für aktuelle Kunst schnellstens vergessen und den Staatlichen Museen signalisieren, daß sie dort die Räume finden können, die sie für ihre Projekte suchen. Das Doppelspiel jedenfalls muß jetzt ein Ende haben.

HNA 17. 1. 1998

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