Von der Sprache zum Bild

Internationaler Künstlerkongreß

Im Kölner Museum Ludwig hängt das 1961 entstandene Objekt „Roberts Tisch“, eine Holzplatte mit den Resten einer Mahlzeit. Daniel Spoerri, der da eine Lebenssituation fixierte, ist aber beileibe kein Künstler, der nur die Vergänglichkeit des kulinarischen Genusses vor Augen hat. Im Gegenteil, er entdeckte früh die Verbindungslinien zwischen bildender und kochender Kunst und empfahl sich über etliche Jahre hinweg als Schöpfer wohlfeiler wie exotischer Gerichte in seinem eigenen Restaurant in der Düsseldorfer Altstadt.

Kein Wunder, daß das Internationale Künstler-Gremium (1KG), in dem rund 170 Künstler und Kunstvermittler zusammengeschlossen sind, unter seinem derzeitigen Präsidenten Spoerri seine Jahrestagung in Kassel mit einem Festmahl verband, bei dem die Künstler als Köche wirkten. Die Kunst-Köche mußten ihren Gästen die Speisen aber auch selbst kredenzen, damit sie für das gerade stehen konnten, was sie angerichtet hatten. Es wurde ein großes und schönes Fest, zelebriert an zwei langen, von Kerzen beleuchteten Tafeln in der Ausstellungshalle der Kasseler Kunsthochschule. Die im Kunstbetrieb gemeinhin abfällige Feststellung, daß nun wirklich für jeden Geschmack etwas dabei gewesen sei, konnte hier nur als uneingeschränktes Lob verstanden werden.

„Die Schulung der Sinne“ hätte das Motto dieser Jahrestagung können: Da unterhielt beispielsweise Prof. Fricke, dessen Aktentasche schon den Naturwissenschaftler verrät, als Amateurzauberer die Festgäste mit Kartentricks. Und viele faszinierte Zuschauer glaubten tatsächlich, mit ihren Augen die Geheimnisse ergründen zu können. Die Hamburger Aktlonskünstierin Lili Fischer hingegen wollte die Last der unerledigten Probleme der Tagung und ihrer Teilnehmer dadurch mildern, daß jeder, der wollte, mit einer Gewürzprise die eigenen Wünsche und Sorgen in einen kleinen Kloß hinein geben konnte, um nach gehöriger Garzeit der Klöße sich von der Problemwürze anderer überraschen zu lassen.

Lili Fischers Kunst dreht sich ganz um Kräuter und Pflanzen. Bereits zum Tagungsbeginn im Kasseler Museum Fridericianum hatte sie ihren Auftritt als Kräuterweib gehabt, mit der Kiepe auf dem Rücken und einem schwarzen Umhang darüber: Aus einem Fahnenbuch las sie die „Schadensklagen“ der Bäume und hieb mit Zweigen auf ihre Zuhörer ein, um alte Volksweisheiten spürbar zu machen. Duft- und Geschmacksproben wurden verteilt, ehe dann Georg Jappe einen. bildkräftig-poetischen Text über das Studium selten gehörter Vogelstimmen verlas. Ein Fest der Sinne.

Für das Auge bleibt noch ein üppiger Rest: die 1KG-Ausstellung im Fridericianum, in der drei Dutzend der Künstler neuere Arbeiten vorstellen. Daniel Spoerri, wiedergewählter 1KG- Präsident (ihm zur Seite jetzt: auch Klaus Staeck), kündigte an, daß auch künftig Tagung und Werkschau verbunden werden sollen.

Ausstellung im Fridericianum
Das Unternehmen war riskant. Denn leicht hätte auch passieren können, daß die Aufforderung des Internationalen Künstler Gremiums (IKG) an seine Mitglieder, zur Jahrestagung in Kassel ausstellbare Arbeiten mitzubringen, nur mäßige Resonanz gefunden hätte. Doch gleich drei Dutzend Künstler sagten zu, schleppten Bilder und. Objekte an und bauten eigenhändig mit auf. Man merkte, daß sie Spaß daran hatten, für sich und das Publikum mal eine Ausstellung zu zaubern, die spontan zustande kam und deren inhaltliche Mischung rein zufällig blieb. Wann hat man das schon: Eine Ausstellung ohne Jury und Kommissar und doch auf hohem Niveau?

Gewiß, wer im IKG Mitglied ist, hat die Jury schon vorweg passiert, denn in das Internationale Künstler Gremium (mit seinen rund 170 Mitgliedern) kann nur eintreten, wer von den anderen Kollegen akzeptiert, also gewählt wird. Zum Erfolg trug sicherlich das documenta-Haus Museum Fridericianum bei, dessen klassizistische Architektur nun mal jede Kunst adelt.

Bei einer Ausstellung, deren Objekte von den Künstlern selbst im Gepäck mitgebracht werden, sind keine Großplastiken und Riesenleinwände, wie sie heute den Markt beherrschen, zu erwarten. Dennoch überrascht die literarische Tendenz dieser Schau: Rund die Hälfte der ausstellenden Künst1er gelangt über die Sprache bzw. Schriftzeichen zum Bild oder erweitert die bildliche Dimension durch sprachliche Mittel.

Beispiele: Dietrich Helms hät das „Vokabular der Verödung“ aufgelistet, wobei er je vier Begriffe auf ein Blatt druckte; aus
diesen Blättern schuf er eine lange dreireihige Bahn, die diagonal auf jene Wand zustrebt, an der er seine Arbeit erläutert. Ebenfalls auf dem Boden rollte Rune Mields ihre Arbeit aus, die aus einem Karozeichen ein „Alphabet“ wachsender Pyramiden entstehen läßt. Fritz Schwegler entwickelt aus skurrilen Bildideen und Wortspielen einen heiter-poetischen Bilderbogen. Maria Anna Potocka setzt über eine Fotoserie vom Kölner Dom (mit wechselnden Perspektiven) den immer wiederkehrenden Satz: „Die einzige Möglichkeit ist, sich nicht über den Dom zu schämen.“ Und Endre Tót provoziert mit einer mit Kohle direkt auf die Wand zwischen zwei Fenstern gezogene Linie, unter der steht: „1 wanted to draw a longer line“ (Ich wollte eine längere Linie zeichnen).

Die unmittelbare Reaktion auf den Raum, der seine Bedingungen diktiert, kommt darin ebenso zum Ausdruck wie der bewußte Bezug auf den spontanen und experimentellen Charakter der Veranstaltung. Werkstattausstellung: Lili Fischer stellt hier erstmals ihr „Wanderpredigt“-Buch zur Diskussion, und Ansgar Nierhoff. demonstriert, wie er beim Versuch, auf einer Eisenplatte zufällig verteilten Schmiedestücken eine Rasterstruktur aufzuzwängen, selbst einen Lernprozeß durchlaufen muß.

Die Malerei, sonst hoch im Kurs, spielt hier nur eine (allerdings gute) Nebenrolle: Ulrich Erben stellt zwei Ölbilder vor, die aus je acht Blättern bestehen: Um jeweils eine weiße Ecke wachsen große, schwere, auschnitthaft-architektonische Formen, wobei sich einmal die Farbfläche verschließt und dann wieder die Pinselführung sichtbar wird. Elisabeth Wagner besetzt mit ihren farbigen Pappstücken den Raum zwischen Malerei und Skulptur. Und Dieter Klaus Hiesserers mehrteilige Arbeit verzichtet auf das gemalte blaue Bild und setzt an seine Stelle ein einstündiges Videoband, auf dem der blaue Fußboden seines Ateliers zu sehen ist.

HNA 17.9./22.9. 1984

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