Der Raum als Herausforderung

Ausstellung „Fundort Zwehrenturm“ in Kassel

Kunst ereignet sich im Raum, gewinnt in ihm Gestalt. Jedes Bild verändert einen Raum und wandelt sich unter wechselnden Bedingungen. Je nachhaltiger diese Einsichten bewußt gemacht wurden, desto größer wurde die Zahl der Künstler; die den Raum als Herausforderung annahmen und ihre Arbeiten direkt auf ihn bezogen.

Rotraut Fischer, Mechtild Nemeczek und Margrit Andres sind drei Künstlerinnen, die unmittelbar auf den Raum antworten. Arbeiten von ihnen sind bis 14. Oktober in der Ausstellung „Fundort Zwehrenturm“ in Kassel vereinigt. Mit dieser Schau ist der Zwehrenturm am Museum Fridericianum als eigenständiger und geradezu idealer Ort für Studio-Ausstellungen (mit drei unterschiedlichen Räumen) entdeckt worden.

Die Bildhauerin Rotraut Fischer reagiert am kraftvollsten auf den Raum. Gegen das Bogengewölbe setzt sie eine doppelte Drahtseilverspannung vom Eingang zur gegenüberliegenden Fensterwand. Im ersten Moment meint man, die Außenwand sei festgezurrt worden. Doch die beiden mächtigen Stränge dehnen den Raum eher, als däß sie ihn zusammenhalten. Sie meinen auch gar nicht den Raum, sondern fixieren je einen langen Granitblock. Diese Blöcke, die das Lineare und Kantige betonen, wirken in dieser Installation fast schwerelos.

Mechtild Nemeczek bewegt sich zwischen Plastik und Malerei. „Malstücke nennt sie ihre Arbeiten, in denen sie der Farbe Form gibt oder in wechselnden Formen die Farbe zur Veränderung lockt. Vor allem aus der Beziehung von Innen und Außen – aufgeschnittene, durchlöcherte oder aufgebrochene Körper – entwickelt sich ein Spiel der Volumen und Flächen: Malerei mit plastischen Mitteln. Die Reliefobjekte, über die Wände verteilt, stehen nicht
nur für sich, sondern akzentuieren den Raum.

Margrit Andres ist Zeichnerin. In ihrem unverputzten Raum erobern Metallplatten Boden und Wände. Auf die (meist gefundenen) Platten hat sie mit dem Graphitstift Linien gezeichnet, andere hat sie eingekratzt. Eine herb-schöne Installation, bei deren Betrachtung man den Blick aber auf die impulsiv zarten Zeichnungen konzentrieren sollte, in denen sich die fließenden Linien immer wieder zur festen Form verdichten.

Eine stille und zugleich überzeugende Schau, die durch Performances von Christine Brodbeck und Muriel Olesen ergänzt wird. Eine Ausstellung, in der Künstlerinnen zielsicher Räume besetzen. Und ein Ereignis, das lehrt, daß Ideen und Beharrungsvermögen (von Doris Krininger und Margrit Andres) auch dann etwas bewirken können, wenn anfangs nur Widerstände da sind.

HNA 18. 9. 1984

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