Jenseits des Lichts

Ausstellung „Lausige Schatten“

Fast wirkt es wie eine Verschwörung: Der Schatten erscheint wichtiger als die Personen und Dinge, die ihn werfen. Ist unser Leben nur noch über den Schatten zu
definieren?

Die Frage liegt nahe, wenn man auf das derzeitige Angebot des Museums Fridericianum in Kassel blickt: Innerhalb der Ausstellung „Reflexion“ präsentiert der Franzose Michel Verjux zwei Lichtprojektionen, in denen der Besucher seinem Schatten begegnet, wenn er nahe genug an die jeweilige Wand herantritt. Eine Etage höher werden ausschließlich Schattenbilder gezeigt – kameralose Lichtbilder (Fotogramme), auf denen sich die Gegenstände und Figuren mit Hilfe ihrer Schatten abgebildet haben. Nun ist im 2. Stock für die Zeit bis zum 15. Mai ein „Mediengefüge“ unter dem Titel „Lausige Schatten“ hinzugekommen.

Auch hier geht es um die Wirkung der Dinge im Widerschein bzw. auf der Rückseite des Lichts. Harald Hohmann, Thomas Bachler und Jörn Budesheim bringen Malerei, Fotografie und Video in einem fruchtbaren Wechselspiel zusammen. Die Moral der Geschichte: Im Scheine des Lichts erlangen die Dinge eine neue Wirklichkeit. Jörn Budesheim bestrahlt vier gemalte Porträts so, daß sie wie Leuchtbilder wirken. Andererseits reflektieren sechs gleichförmige Mischtechniken
eine Lichtellipse in der Weise, daß ihre Abbilder auf der Nachbarwand wie Monitore erscheinen.

Die Wahrnehmungsweisen geraten aus dem gewohnten Rhythmus: Der Bildschirm wird zur Projektionswand für Lichtbilder, und die riesige Leinwand
verhilft den Monitoren, die hinter ihr aufgestellt sind, zu plastischen Verklärungen des Videoprogramms. Doch hier wird nicht bloß verzaubert, sondern auch Medien
kritik sinnlich begreifbar gemacht. In einem dunklen Raum stehen sich zwei Bildschirme mit zwei Diaprojektoren gegenüber: Untermalt von entsprechenden bedrohlichen Geräuschen, feuern die Geräte aufeinander die Bilder ab. Das ist der Dialog des Medienzeitalters.

HNA 9. 5. 1989

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