Hier Ostkunst – da Westkunst?

Drei Ausstellungen im Fridericianum

Eine spannende Konstellation im Kasseler Museum Fridericianum: Im Schatten des Klassikers Paul Klee (dessen späte Zeichnungen im 1. Obergeschoß präsentiert werden), ist eine für den bisherigen Kunstbetrieb ungewöhnliche Konfrontation zustandegekommen: Während im rechten Flügel des Erdgeschosses unter dem Titel „Ars viva“ Bilder von fünf Künstlern gezeigt werden, die der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie ausgezeichnet hat, werden im linken Flügel vier Maler aus Tiflis (Georgien, UdSSR) mit ihren Werken (Titel: „Georgia on my mind“) vorgestellt. Als Klammer zwischen den beiden höchst gegensätzlichen Ausstellungen ist in der Rotunde die Installation „Dandolo des aus Sofia stammenden und in Westeuropa lebenden Malers Haralampi Oroschakoff zu sehen. Kunsthallendirektor Veit Loers hat versucht, dem zufälligen Zusammentreffen einen höheren Sinn zu geben und die Positionen heutiger Malerei zur Diskussion zu stellen.

Hier Ostkunst – da Westkunst, und dazwischen einer, der beides reflektiert? So einfach ist die Geschichte nicht. Am ehesten erfüllt Oroschakoff die Erwartungen. Er steht in unmittelbarer Verbindung zur hiesigen Avantgarde und umkreist zugleich beschwörend und malend die byzantinische Welt. In der Rotunde des Fridericianums ist ein Weiheraum entstanden, in dem die Bildtafeln wie Säulen die zentrale Bildgruppe so einrahmen, daß diese wie ein Altar wirkt. Der Titel „Dandolo“ erinnert an jenen venezianischen Dogen, der vor nahezu 800 Jahren Konstantinopel plünderte und die byzantinischen Schätze nach Venedig bringen ließ.

Oroschakoff schuf eine eindringliche Bilderfolge, in der der Maler aus der Dunkelheit (der Erinnerung) die Farben aufleuchten läßt und in der er über die Annäherung an die Ikonenmalerei zu freien, dicht gewebten Kompositionen vordringt. Gekrönt wird die Gruppe vom „Altarbild“, in dem die torsohaften Urbilder der abendländischen Kunst mit den Ikonen (Schlüsselbildern) unserer Zeit vereint werden, mit schwarzem Quadrat und schwarzem Kreis.

Oroschakoffs Bildzyklus und auch seine kleinen Objekte wirken weit „östlicher“ als die großformatigen Kompositionen der vier georgischen Maler. Die Bjlder dieser vier lassen alles vergessen, was man bislang als Ostkunst einstufte. Wie die deutschen abstrakten und informellen Bilder der unmittelbaren Nachkriegszeit sind diese Gemälde Dokumente einer künstlerischen Selbstfindung und -befreiung. Nach Jahren der Dienstbarkeit und öffentlichen Inanspruchnahme streben die Maler kompromißlos der freien, improvisierenden, ganz sich selbst überlassenen Malerei zu. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie in einer Diskussion mit den Georgiern in Kassel gefragt wurde, wann und durch welche westliche Künstler sie Anregungen erhalten haben. Wichtig ist nur, daß hier der unbeirrbare Wille (und auch die Kraft dazu) zu verspüren ist, am weltweiten Dialog der Kunst teilzunehmen.

Alexander Bandzeladze, Jahrgang 1927 und Professor an der Kunstakademie in Tiflis, ist der Lehrer und Anreger der anderen drei. Seit langem schon hatte er sich privat von der realistischen Staatskunst abgewandt. In seinen Gemälden, die mal fest gebaut, mal von der spielerisch-nervösen Linie beherrscht sind, spürt man die Sicherheit im Umgang mit der von einem Thema völlig losgelösten Malerei.

Stärker zur Erzählung neigt Luka Lasareishvili mit seinen Schriftbildern. Der zarte, zeichnerische Linienfluß steht hier im Kontrast zu einer fast groben Malweise. In diesen Bildern offenbart sich eine sehr eigenständige künstlerische Kraft. Während sich Gia Edzgveradzes Arbeiten fast ganz auf die nervöse Linie konzentrieren, baut Iliko Zautashvili aus dem Hell-Dunkel-Gegensatz dichte Flächensysteme auf.

Die Bilder der deutschen „Ars viva“-Preisträger wirken dagegen gesetzt und ruhig. Hier herrscht nicht Aufbruchstimmung, sondern, wird der Zustand der aktuellen Malerei untersucht. Die schwächsten Impulse gehen dabei von Dieter Villinger aus, der drei riesige, jeweils nur von einer Farbe beherrschte Bildtafeln zeigt. Sein schwarzes Bild etwa erscheint nur wie ein Reflex auf das Werk von Soulages, das kürzlich an diesem Ort zu sehen war.

Interessanter sind da Christiane Richters strenge Farbvarationen, in denen sie mit den Mitteln der Fotografie die Möglichkeiten der Malerei untersucht. Auch Rupprecht Matthies‘ vielschichtig und streng aufgebaute abstrakte Kompositionen laden zu einer intensiven Auseinandersetzung ein. Erfrischend wirkt Michael van Ofens Dreiergruppe grüner Bilder, in denen er die gestische, abstrakte Malerei zitiert und aus ihr das Sinnbild der deutschen Kaufhauskunst, den röhrenden Hirsch, wie ein Phantom hervortreten läßt. Tiefgründig und komplex sind auch Thomas Hubers kleine Gemälde, die sich dem Stil naiver Lehrtafeln annähern. Diese Bilder mit ihren steifen Beschriftungen sind in Wahrheit Modelle von Bildern.
Hier Ostkunst — da Westkunst?

HNA, November 1989

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