Ausstellung „Oppositionen & Schwesterfelder“ im Fridericianum
Eine Expedition in die Wildnis?
Unter dem Titel Oppositionen & Schwesterfelder stellt das Museum
Fridericianum in Kassel Arbeiten junger Künstler vor.
Schräg gegenüber vom Museum Fridericianum ist zwischen den Autos ein kleines Zelt aufgeschlagen. Camping auf dem Parkplatz, mitten in der Stadt. Das Zwei-Mann-Zelt ist verschlossen, aus dem Inneren ertönt leise Radiomusik. Passanten bleiben verdutzt einen Moment stehen und gehen dann lächelnd weiter.
Das von Kirsten Mosher aufgestellte Zelt ist der auffälligste Beitrag zu der Ausstellung Oppositionen & Schwesterfelder, weil er in den Lebensraum außerhalb des Museums Fridericianum vordringt. Der Titel der Schau, in der Arbeiten von einem guten Dutzend junger internationaler Künstler vereinigt sind, bezieht sich auf ein Buch von Marcel Duchamp, dem großen Revolutionär der modernen Kunst. Duchamp spielte mit der Formulierung auf Positionen beim Schachspiel an; in der Ausstellung nun aber geht es um das Bezugssystem der Kunst. Das hat sich nach Meinung von Ausstellungsorganisatorin Sabine Vogel erschöpft und kann nur
durch Grenzüberschreitungen belebt werden. Also: Raus aus der Zivilisation und hinein in die Wildnis, weg von Malerei und Skulptur und hin zu ungewohnten Mitteln!
Doch wenn man das kuriose Zelt auf dem Parkplatz als Paradebeispiel nimmt, dann ist die Wildnis mitten unter uns. Verbringen denn nicht viele Menschen ihre Campingferien mitten zwischen den Autos? So widersprüchlich sind die Dinge also gar nicht. Damit wären wir beim Grundproblem der Ausstellung: Der Rückgriff auf die Alltagsmaterialien allein, den seit Duchamp schon unzählige Künstler vorgenommen haben, eröffnet noch keine Gegenpositionen.
Die Ausstellung vereinigt eine Reihe beachtenswerter und witziger Arbeiten und Installationen – Joe Scanlans angedeutetes Bühnenbild mit Vorhang (in der Rotunde) etwa, Edwin Janssens Fahnen mit ihren Anspielungen aufs Welttheater oder Rolf Weißleders Sammlung voyeuristischer Bildchen aus Zeitschriften und Werbung. Doch damit begeben sich die jungen Künstler nicht in eine fremde Wildnis, sondern auf höchst vertraute Felder. Es scheint so, als gebe es für die Kunst kein unbekanntes Land mehr. So kann die Ausstellung wohl unterhalten, ihr Ertrag ist aber nicht dauerhaft.
Natürlich hängt das auch damit zusammen, daß die Künstler spontan und intermedial arbeiten und daß sie – wie Achim Wollscheid, der einen im Hörfunk gesendeten Ausstellungbeitrag schuf nicht böse sind, wenn die Mehrheit der Ausstellungsbesucher nichts davon mitbekommen hat. Überhaupt gewinnt man das Gefühl, daß für diese Künstler die Ausstellung ein fast überholtes Forum ist. In den Bild- und Textbeiträgen zum Katalog (160 5., 30 Mark), der nur wenig mit dem in Kassel Gezeigten zu tun hat, stecken mitunter mehr Kraft, Witz und Ideen als in einigen Schaustücken. Wäre also das Buch das aussichtsreichere Medium.
HNA 30. 3. 1994