Kein Schlaf der Vernunft

Franz West räumte im Museum auf Zeit um

Als das Museum Fridericianum aus seinem langjährigen Schlaf zwischen den documenten erwachte und zur Kunsthalle wurde, gab Veit Loers der Eröffnungsausstellung den vielsagenden Titel „Schlaf der Vernunft“. Da nun die Finanznot der Stadt die Kunsthalle Fridericianum in einen Halbschlaf zurückbefördert hat, reagieren Loers und seine Mitarbeiter wiederum antizyklisch. Sie blasen zum Aufbruch.

Das erste Signal gab gestern der österreichische Künstler Franz West, der zur vorigen documenta unter anderem die Installation der mit Teppichen verhangenen Stahldrahtbänke im Hof des Dock 4 geschaffen hatte. West ist einer der fünf Künstler, die für Loers‘ mehrjähriges Projekt „Museum auf Zeit“ einen Raum gestaltet haben. West hatte seinen Raum in eine Art Atelier verwandelt, in dem vieles zu finden ist – eigene Skulpturen, Bilder anderer Künstler und Studentenarbeiten sowie zwei seiner Drahtbänke, die zum Sitzen an einem Tisch einladen sollten. Jetzt kam West zur Umräum-Aktion nach Kassel. Die chaotische Ordnung des Ateliers war ihm nicht chaotisch genug, also „reinigte“ er den Raum, nahm etliche Stücke heraus und strebte – als Alternative – eine fast museale Installation an.

Ein Stück absurdes Theater. Das begann damit, daß West, vom Feiern übernächtigt, sich erst einmal zum Vernunft-Schlaf auf eine seiner Bänke hinlegte. Doch wenige Minuten später war er wieder hellwach, gab Anweisungen zum Rausschaffen, ermunterte seinen Bruder Otto, dabei die „Bewegungsregie“ zu führen (doch der zog sich lieber zurück) und packte dann selbst entschieden mit an. Franz West trat auf wie der Familienvater, der zum Umbau ermunterte, aber eigentlich nicht wußte, worauf er hinauswollte. Als fixe Idee schwebte ihm vor, ein einfacher Kunststudent würde ihn dazu bringen, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Doch das radikale Gegenüber war nicht da.

Franz Wests Aktion war ein Anfang. Im Laufe der nächsten Tage werden im „Museum auf Zeit“ drei weitere Raume neu gestaltet: Von Cady Noland kommt eine andere Arbeit nach Kassel, und in Kippenbergers Kunstverein werden Arbeiten von Michael Krebber und Johannes Wohnseifer ausgestellt. Außerdem wird endlich Imi Knoebel seinen Beitrag leisten und die Arbeit „Phosphorsandwich“ nach Kassel bringen. Erstmals werden die neuen Räume am Sonntag, 19. Juni, 12 Uhr, der Öffentlichkeit präsentiert. Zur gleichen Zeit wird Franz Erhard Walthers Ausstellung „Sieben Werkgesänge“, die Rekonstruktion einer in Fulda realisierten Arbeit von 1964, eröffnet.

Doch bevor das Fridericianum das veränderte „Museum auf Zeit“ wieder zugänglich macht und bevor im Herbst die Alten Meister einziehen, nehmen diejenigen die oberen Raume im Fridericianum in Beschlag die seit Jahr und Tag beim Aufbau der Ausstellungen mitgearbeitet haben. Sie sind alle, vom Hausmeister bis zum Hilfsschlepper, der Ausbildung nach Künstler und haben sich zur „M.F. Aufbau“ zusammengeschlossen. Es sind: Dieter Fuchs, H.P. Tewes, Kristiane Krüger, Hardy Schmidt, Ser.da.nn, Peter Limpinsel, Hans-Jörg Weiser, Jürgen Zähringer, Piotr Jendrassek, Heino Goeb, Olaf Hackl, Elena Carvajal, Martin Hast und Pablo Alonso.

Die Ausstellung verspricht, ein spannendes Kunstabenteuer zu werden, zumal die entstehenden Arbeiten durchweg auf Materialien basieren, die mit dem Aufbau im Fridericianum zu tun haben, und fast alle den Ausstellungsbetrieb thematisieren. Veit Loers wird die Ausstellung am Freitag, 10. Juni, 20 Uhr, eröffnen. Bis zum Ausstellungsende am 17. Juni ist für jeden Abend (20 Uhr) ein musikalisches, literarisches, filmisches oder intermediäres Ereigins geplant.

HNA 8. 6. 1994

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