Zwischen Schönheit und Gewalt

„Museum auf Zeit“ im Fridericianum

Das Museum Fridericianurn in Kassel ist jetzt mehr als Kunsthalle – es ist bis zur nächsten documenta auch „Museum auf Zeit“ und Ort des Kunstvereins.

Schon früher, als nicht klar war, wie das Museum Fridericianum zwischen den documenten sinnvoll zu nutzen sei, gab es den Gedanken, dort
Wechselausstellurigen von längerer Dauer einzurichten. Dabei spielte neben finanziellen Erwägungen gewiß auch die Idee eine Rolle, ein Gegenbild zur docurnenta zu entwerfen, die als ein „Museum der 100 Tage“ propagiert worden war.

Nun hat Kunsthallenleiter Veit Loers den Gedanken in die Tat umgesetzt und den rechten Erdgeschoßflügel in ein „Museum auf Zeit“ verwandelt: Sieben international tätige Künstler wurden eingeladen, je einen Raum zu gestalten. Fünf Räume sind fertig, zwei Installationen werden erst später realisiert. Die Künstler können bis Ende 1996 über diese Räume verfügen.

Der Effekt ist ein doppelter: Die Kunsthalle nutzt über einen langen Zeitraum einen Teil ihrer (im Verhältnis zum Etat) riesigen Fläche, ohne daß dauernd neue Kosten entstehen. Zum anderen geraten die Künstlerräume mit jeder Wechselausstellung in den übrigen Teilen des Fridericianums in ein neues Bezugssystem.
Das gilt schon jetzt, nachdem der Kasseler Kunstverein in den linken Erdgeschoßflügel eingezogen ist: Um die Schönheit und Klarheit des großen Saales voll zur Entfaltung zu bringen, lud der Kunstverein für seine Eröffnungsausstellung den in Stuttgart lebenden Künstler Nikolaus Koliusis (Jahrgang 1953) ein, der den Raum weder verstellte noch mit Arbeiten dekorierte, sondern ihn in eine große farbenprächtige Bühne verwandelte. Koliusis arbeitet vornehmlich mit farbigen film- und Filtermaterialien, die er in Blei- und Stahlrahmen spannt. Mal stehen die Rahmen wie Liegen auf dem Boden, mal befinden sie sich wie Schilde oder transparente Skulpturen im Raum. Hier sind die Folien glatt gespannt und spiegeln, dort sind die Papiere geknittert und reflektieren das Licht. Farbe durchweht den Raum. Ein wohl abgestimmter Zusammenklang zwischen Licht und Farbe.

Ganz unmittelbar stellt sich ein Bezug zu der Arbeit von Günther Förg im „Museum auf Zeit“ her, der vor vier Fenster vier raumhohe, vertikal halbierte Transparenzfolien hängte. Einerseits entwickeln sich zwischen den unterschiedlichen Farbhälften Dialoge; zum anderen wird sichtbar, daß es bei Förgs „Luftlacklauf‘-Bildem um die Malerei und deren Wirkung in den Raum geht.

Auch Martin Kippenbergers Beitrag birgt eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Kunstverein: Der Künstler hat auf einen eigenen Beitrag verzichtet und seinen Raum in einen „Kippenberger Kunstverein“ verwandelt, in dem bis 5. September Zeichnungen, Collagen und Objekte von Albert Oehlen zu sehen sind.
Das „Museum auf Zeit“ hält eine Folge gegensätzlicher und spannungsgeladener Räume bereit. Während Meuser lediglich auf den Zusammenklang von Gestalt und Farbe abzielt, zieht Cady Noland in ihrer Installation eine deprimierende soziale Bilanz Amerikas: Absperrgitter, Eisengitter, Ketten, Handschellen, die US-Flagge, Sättel, Kartoffel-Chips und Hamburger umreißen in ernüchternder Weise die amerikanische Lebensart.

Den künstlerisch anregendsten Raum hat Franz West geschaffen. Er hat eine Art Atelier eingerichtet mit eigenen Arbeiten und mit Werken von Künstlern, die er schätzt. Ein Museum für sich.

HNA 7. 7. 1993

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