„Pro Lidice“ im Fridericianum
RenéBlock hat eine komplexe Ausstellung ins Kasseler Fridericianum geholt, die Künstler zu
Ehren der Opfer des tschechischen Lidice ermöglicht haben.
Tausendfach wurden während des Zweiten Weltkrieges solche Aufnahmen gemacht: Ein Mann in Uniform lächelt in die Kamera – freundlich und vertrauenswürdig. Gerhard Richter, der das Foto malerisch umsetzte, blieb zwar der realistischen Sichtweise treu, entschied sich aber bewußt für die Unschärfe. So wird der private Charakter der fotografischen Darstellung yerstärkt. Richter nannte sein Ölbild Onkel Rudi. Aber dieser freundliche Onkel stand mit seiner Uniform für ein System, das unter anderem 1942 das tschechische Dorf Lidice vom Erdboden verschwinden lassen wollte, weil die Nationalsozialisten behaupteten, die Bewohner hätten das Attentat auf den SS-Führer Heydrich unterstützt. 190 Männer wurden erschossen, 52 Frauen kamen im Konzentrationslager um, und die Kinder wurden in SS-Lager deportiert.
Der Name Lidice sollte für alle Zeiten getilgt werden. Eben das haben die Nazis nicht geschafft. Im Gegenteil, der Name Lidice ging um die Welt; und hundertfach sind die Versuche, die Erinnerungen an das Verbrechen und die Opfer wach zu halten. Schon in den 60er Jahren entstand in der damaligen Tschechoslowakei die Idee, am Ort des Verbrechens als positives Zeichen ein Kunstmuseum zu gründen, zu dem Künstler der Welt Werke beitragen sollten.
Genau da beginnt die Geschichte der jetzt im Fridericianum gezeigten Ausstellung, die sich den normalen Maßstäben entzieht, weil die Kunstwerke unter ein hochmoralisches Konzept gestellt wurden: René Block, damals Avantgarde-Galerist in Berlin, hörte von dem Plan, begeisterte die Künstler seiner Galerie dafür und brachte mit seinem VW-Bus 1968 die 21 Bilder und Objekte nach Prag, die deutsche Künstler gestiftet hatten. Mit dem Ende des Prager Frühlings kam auch das Ende der Ausstellung. Doch die Kunstwerke konnten sichergestellt werden.
Dreißig Jahre später wurde ein zweiter Anlauf unternommen, das geplante Museum in Lidice zu gründen. Und wiederum wurde Block, mittlerweile Kunsthallenleiter in Kassel, aktiv. Er stöberte mit anderen die Objekte der 68er-Ausstellung auf und konnte 31 Künstler der
nächsten Generation dafür gewinnen, eine Arbeit zu stiften.
So ist eine Ausstellung zustande gekommen die in fast repräsentativer Weise die deutsche
Kunst seit den 60er Jahren spiegelt. Nur selten hat man mit einer Ausstellung zu tun, die so unmittelbar mit der Biographie des Machers verknüpft ist und
die so unterschiedliche Aspekte der Geschichte, der Moral, der Politik und der Kunst berührt.
Doppelt schwer wird die Auseinandersetzung für die Besucher dadurch, daß einerseits der Bezug zu dem politischen Verbrechen ständig präsent ist (eine Dokumentation in einem Kabinett informiert diejenigen, für die Lidice unbekannt ist) und daß zum anderen nur wenige Künstler direkt mit einer Arbeit darauf reagiert ha ben. So läßt sich die Kunst hier nicht mit den alten Schulbegriffen klassifizieren. Eher muß man die Werke, jedes für sich, als kleine Monumente der Erinnerung, des Mahnens und des Hoffens nehmen. Die einen verweisen zurück – wie Richters Onkel Rudi oder die aus dem
Geist der 60er Jahre entstandene politisch brisanten Arbeiten von KP Brehmer, H.P. Alvermann, C.O. Paeffgen, Wolf
Vostell oder (als junges Beispiel) Katharina Sieverdings Großplakat Deutschland wird deutscher. Andere Arbeiten hingegen deuten in die poetische Weite und Leere – wie Olaf Nicolais Kleines Fenster oder Thomas Ruffs Stern. Gleichgültig verläßt diese Ausstellung niemand.
HNA 10. 2. 1999