Alte Meister: Auftakt mit Gipfeltreffen

120 Spitzenwerke der Kasseler Gemäldegalerie werden ab heute im Museum Fridericianum ausgestellt: Wohl bekannte Bilder erscheinen in einem neuen Licht.

Vier Herren stehen zum Empfang bereit, selbstbewußt und in Herrscherpose. Miteinander haben sie im Grunde nichts zutun. Da aber der Zufall sie zusammengeführt hat, ziehen sie aus diesem Gipfeltreffen nur Gewinn.

Einen besseren Auftakt für die „120 Meisterwerke“ aus der Kasseler Gemäldegalerie hätte Museumsdirektor Ulrich Schmidt kaum schaffen können. In dem zentralen hohen Saal über dem Eingang des Museums Fridericianum werden in exemplarischer Weise vier ganzfigurige Porträts miteinander konfrontiert, die für die großen Namen der Galerie stehen und die zugleich die verschiedenen Samm lungsabteilungen repräsentieren: Tizians Bildnis eines „Italienischen Feldherren“ (wahrscheinlich Ferrante Gonzaga, gemalt um 1560), „Der Handelsherr Nicolas de Respaigne als Jerusalempilger“ von Peter Paul Rubens (vor 1624), Rembrandts „Bildnis eines Amsterdamer Patnziers“ (1639) sowie „Genuesischer Edelmann“ von Antonis van Dyck (um 1627).

In der Gemäldegalerie von Schloß Wilhelmshöhe, wo die Bilder in den letzten zwei Jahrzehnten zu sehen waren, hingen sie weit auseinander. Jetzt, da das Schloß saniert werden und vor allem ein neues Oberlichtdach erhalten soll, mußte auf Grund der begrenzten räumlichen Bedingungen im Museum Fridericianum eine strenge Auswahl getroffen werden – von den über 500 Gemälden können nur etwas mehr als 120 gezeigt werden. Diese Konzentration auf die Spitzenwerke ermöglichen andere Hängungsweisen.

Natürlich hätte die Ausstellung an Zugkraft gewonnen, wenn es geklappt hätte, den Maler Georg Baselitz für die Hängung der Bilder zu gewinnen. Immerhin war schon bekannt geworden, daß Baselitz die Gemälde aus ihren historischen Rahmen lösen wollte. Aber vielleicht ist es gar nicht schlecht, daß es zu einer solch spektakulären Inszenierung nicht gekommen ist, weil man darin möglicherweise vorwiegend über Äußerlichkeiten diskutiert hätte. So aber erscheint die Sammlung selbst in einem neuen Licht.

Das Gipfeltreffen in dem zentralen Eingangsraum hat Schmidt nicht ohne Ironie inszeniert. Für ihn sind die etwas überlebensgroßen Porträts nicht nur Leitbilder der Kasseler Sammlung. Sie spiegeln seiner Ansieht nach auch den „Jahrmarkt der Eitelkeiten“, den die Künstler mit ihren Bildnissen gefördert haben. Um den vier gleichartigen und in der Auffassung und Malweise doch so verschiedener Bildern zu einem sicheren Stand zu verhelfen, wurden für sie kleine Sockel gebaut. Dieser technische Kunstgriff zielt auch ins Inhaltliche – die vier Herren werden aufs Podest gehoben. Aber die Ehrung wird gleich wieder gebrochen: Während rechts und links die Porträts prangen, sind auf der rückwärtigen Wand (beiderseits des Eingangs) von Jan Lievens, der zum Rembrandt-Umkreis gehört, die Männer-Bildnisse „Die vier Lebensalter“ zu sehen, die von der Vergänglichkeit von Jugend und Macht berichten.

Während in dem zentralen Raum unterschiedliche Epochen und Landschaften der Malerei gebündelt werden, leben mehrere andere Räume davon, daß man in ihnen erstmals wieder die Schlüsselbilder eines Künstlers im Zusammenhang erleben kann. Mußte man sich in Wilhelmshöhe die Rembrandts selbst mühsam zusammensuchen, haben sie nun einen gemeinsamen Saal: Um die beiden Hauptwerke „Saskia“ (1633/34) und „Der Segen Jakobs“ (1656) sind fünf weitere Bilder von Rembrandt gruppiert sowie – etwas abgetrennt – ein Gemälde seines Lehrers Pieter Lastman. Auch Jacob Jordaens erhielt einen eigenen Saal, wobei dort das großformatige „Bohnenfest“ (1630/1660) sowie „Der Satyr beim Bauern“ (um 1618) im Zentrum stehen.

Ebenso sind die Gemälde von Peter Paul Rubens und Frans Hals sowie andere endlich jeweils im Zusammenhang zu erleben. Besonders erfreulich ist das bei den „Vier Jahreszeiten“ von Ignaz Stern (1679 – 1748), die bisher als Serie gar nicht zu erkennen waren, nun aber an einer Wand vereint sind. Schon jetzt ist sicher, daß die künftige Hängung der Alten Meister in Schloß Wilhelmshöhe hinter die Neugewichtung im Fridericianum nicht zurück kann. Natürlich ist die jetzige Ordnung der auf ein Stockwerk konzentrierten Sammlung nicht auf eine Galerie übertragbar, die das Vierfache umfaßt und sich über drei Etagen erstreckt. Aber die Schaffung klarer Achsen und in sich geschlossener Räume ist im Museum Fridericianum als ein eindeutiger Gewinn zu verbuchen. Ulrich Schmidt, der Direktor der Staatlichen Museen Kassel, genießt es sichtlich, daß er unmittelbar vor seiner im nächsten Jahr anstehenden Pensionierung eine solche Neukonzeption vornehmen konnte. Er arbeitete zwar mit konventionellen Mitteln, doch schon die reichten, um eine Blickwende zu einzuleiten. Von dem Zentralraum aus gelangt man auf der einen Seite zu den Holländern mit den Werken von Rembrandt, Frans Hals, Nicolaes Maes und anderen. Den Schlußpunkt bildet ein Raum mit den Altniederländern und Altdeutschen, wobei Brueghel, Hans Baldung Grien, Heemskerck und Dürer die Schwerpunkte sind. Zur anderen Seite wird man zu den Flamen geführt (Rubens, Jordaens), um dann zu den Franzosen und Italienern zu kommen.
Wohltuend ist, daß die Gemälde an massiven Wänden und nicht mehr vor den stark farbigen Stofftapeten hängen. Für die Hängeflächen wurde ein zart grauer Anstrich gewählt. Die Wände an der Fensterfront blieben weiß. An ihnen werden wegen des Lichteinfalls keine Bilder gezeigt. Um das Tageslicht zu dämpfen, wurden die Fenster weiß verhängt. So ergibt sich ein weiterer Kontrast zu Wilhelmshöhe, wo die gemalten Bilder mit den Naturbildern, die sich durch die Fenster aufdrängen, konkurrieren mußten.

Die Kasseler Museen und das gastgebende Museum Fridericianum hoffen darauf, daß das zweijährige Gastspiel der Alten Meister in dem documenta-Spielort den Ruhm der Sammlung mehrt und den Gemälden viele neue Besucher beschert. Allerdings hat documenta-Geschäftsführer Roman Soukup bei seiner offensiven und unkonventionellen Werbung für die Schau etwas zu hoch gegriffen, als er den Untertitel „Höhepunkte einer fürstlichen Gemäldesammlung“ durchsetzte. Dies ist nur im übertragenen Sinne richtig.

Das Fridericianum will auch während der zwei Jahre eine Kunsthalle für Gegenwartskunst bleiben. Um dies gleich zum Auftakt zu dokumentieren, wird heute auch eine Ausstellung mit Arbeiten des Pop-Künstlers Andy Warhol eröffnet, bei der es ebenfalls um Alte Meister geht.

HNA 27. 11. 1994

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