Großes Lob für „Tapetenwechsel“

Riesiger Andrang im Kasseler Museum Fridericianum: Am vergangenen Wochenende wurden die Ausstellungen „120 Meisterwerke“ und Andy Warhol, von vielen lobenden Worten begleitet, eröffnet.

Seit kurzem geben die Spitzenwerke der Kasseler Gemäldegalerie für zwei Jahre ein Gastspiel im Museum Fridericianum. Der erste Eindruck vieler Eröffnungsbesucher: Die durch die anstehende Sanierung von Schloß Wilhelmshöhe notwendige Ausquartierung der Gemälde beschert ein neues Kunsterlebnis: So übersichtlich hat man die Werkgruppen von Rembrandt, Jordaens, Hals und Rubens lange nicht gesehen. Vor allem wirkt der Wechsel der Tapeten wie eine Befreiung – statt vor stark farbigen Stoffbespannungen sieht man die Gemälde nun vor einer nur leicht grau getönten Wand.

Es ist, als wäre mit dem Umzug der Alten Meister ins Museum Fridericianum der Museumsstaub hinweggeblasen worden. Die strenge Abfolge der in sich geschlossenen Räume schafft eine klare Führung. Die auf den Wänden zwischen den Fenstern angebrachten Texttafeln erläutern nicht die Bilder, sondern führen oftmals über sie hinaus oder brechen ironisch die andächtige Bilderverehrung (wie die Thomas Bernhard-Zitate).

Es gibt Hoffnungen, daß sich der bei der Eröffnung von Wissenschafts-Ministerin Prof. Evelies Mayer vorgetragene Wunsch erfüllt, die Zusammenarbeit von Staatlichen Museen und documenta-Gesellschaft möge Neues hervorbringen. Als ein erfreuliches Produkt dieser Kooperation kann man das in Zeitschriftenform vorgelegte Führungsheft (94 5., 10 Mark) ansehen. Während sich sonst die Museen immer schwertaten, publikumsorientierte Veröffentlichungen herauszubringen, liegt nun ein großformatiges Heft vor, das mit Totalaufnahmen und Detailausschnitten auf die Meisterwerke neugierig macht, das die Sammlungsgeschichte erläutert und das den Blick auf andere Museen, Ausstellungen und Ereignisse lenkt. Dieses Heft spiegelt den Anspruch, die Alten Meister im neuen Licht zu zeigen.

Sowohl Ministerin Mayer als auch Kunsthallenchef Dr. Veit Loers verwiesen bei der Eröffnung auf die glückliche Gegenüberstellung alter und neuer
Kunst: Während im ersten Obergeschoß die Alten Meister zu sehen sind, werden unten jene Bilder von Andy Warhol gezeigt, die sich mit klassischen Meisterwerken auseinandersetzen.

Die Ministerin sprach den Wunsch aus, daß die Kasseler Bevölkerung diese Einladung zum vergleichenden Sehen annehmen werde. Mit Nachdruck setzte sie sich für eine produktive Zusammenarbeit von Stadt und Land in der Kulturpolitik ein, allerdings dürfe die in finanzieller Hinsicht nicht als Einbahnstraße angesehen werden. In diesem Zusammenhang verwies sie darauf, daß von 188 Millionen Mark im Kulturetat des Landes 58,8 Millionen Mark nach Kassel gingen. Auch sagte sie zu, sich dafür einzusetzen, daß für Schloß Wilhelmshöhe über die gebilligten rund 15 Millionen Mark hinaus weitere Mittel zur Vollendung der Sanierung bereitgestellt würden.

Der Direktor der Staatlichen Museen, Dr. Ulrich Schmidt, erinnerte in seiner Rede noch einmal an die Konflikte, die dieser Ausstellung vorausgegangen seien, und erläuterte sein Hängungskonzept. Dankbar zeigte er sich, daß erstmals die „Vier Lebensalter“ von Jan Lievens gezeigt werden können; allerdings gehören dem Museum erst drei der vier Gemälde von dem Maler aus dem Rembrandt-Umkreis.

HNA 3. 12. 1994

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