Zum dritten Mal werden im Kasseler Museum Fridericianum jüngere Künstler mit ihren Arbeiten vorgestellt: Dem Herkules zu Füßen.
Als das Museum Fridericianum 1988 als Kunsthalle zwischen den documenten eröffnet wurde, hegten die in und um Kassel ansässigien Künstler die Hoffnung, nun bekämen sie ein zusätzliches Ausstellungsforum. Die Erwartungen wurden weitgehend enttäuscht, weil die Kunsthalle am internationalen Kunstdialog teilhaben sollte. Gleichwohl eröffnete Kunsthallenleiter Veit Loers mit der 1989 begründeten Reihe Dem Herkules zu Füßen einen Weg, der auch den Künstlern eine Ausstellungsmöglichkeit bot, deren Biographie mit Kassel und Nordhessen in Beziehung steht. Allerdings ließ sich Loers nicht darauf ein, die regionale Szene zu spiegeln, sondern suchte (vornehmlich im Umkreis der Hochschule) nach solchen nachwachsenden Künstlern, deren Werke in das generelle Konzept der Kunst- halle passen.
Zu seinem Abschied von Kassel hat Loers die dritte Folge der Reihe eingerichtet, wobei er die Auswahl und Inszenierung der Kuratorin Pia Witzmann überließ. Sie wählte acht Künstlerinnen und Künstler aus und gab darüber hinaus sechs Kunststudentinnen und -studenten die Gelegenheit, als Debütanten aufzutreten.
Um mit den letzteren, zu beginnen: In den präsentierten Arbeiten wird eine vielversprechende Kreativität und Energie spürbar. Am stärksten beeindrucken die Videoarbeiten: Judith Nopper läßt auf zwei kleinen Bildschirmen Farben springen, indem jeweils eine weibliche Figur in ständig wechselnden Kleidern und Pullovern erscheint. Olaf König hat eine Video-Installation entwickelt, bei der poetische Textzeilen über eine Bildwand laufen, wenn man eine Hand oder einen Gegenstand über einen Monitor hält. Und Eva Millauer fasziniert mit einer rotierenden Farbkreisscheibe, deren Umdrehungen immer schneller werden, so daß ein mitlaufender gesungener Text am Ende. zur Unkenntlichkeit verzerrt wird.
Es ist nichts Ungewöhnliches, daß die Künstler der nachwachsenden Generation gern zu allen möglichen, auch technischen Mitteln fern der traditionellen Malerei greifen. Gleichwohl überrascht, wie stark viele Arbeiten auf die Malerei zurückverweisen. Das gilt für Judith Noppers Video ebenso wie für Eva Millauers Scheibe. Aber auch innerhalb der eigentlichen Ausstellung ist diese Beobachtung zu machen – etwa bei Stefan Hunstein. Von ihm sind großformatige Porträtaufnahmen zu sehen, die alte Kinderfotos zur Vorlage haben. Hunstein gibt ihnen die Kraft von Gemälden und lädt sie mit Atmosphäre (Farbe und Schemenhaftigkeit) und Bedeutung so sehr auf, daß sie wie Bilder einer Geschichte wirken, die uns aber verschlossen bleibt.
Malerisch muten auch Barbara Jungs Collagen an, die dann auch zum traditionellen Bild führen. Selbst in den gegossenen Lappen von Berthold Hörbelt und Wolfgang Winter ist die Malerei präsent; ihre flachen Objekte wirken wie Farbkörper. Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist ihre Skulpturengruppe der verstümmelten Madonnen aus Harz. Ein weiteres Zentrum bildet der Raum mit den malerischen Wandobjekten von Elena Carvajal, die den Farben zu räumlichen Strukturen verhilft.
Auf einen völlig anderen Bereich verweisen die Arbeiten von Martin Hast. Er baut strenge Skulpturen und hebt deren Wirkung teilweise dadurch auf, daß er in sie Materialien einbezieht, die (schmerzliche) körperliche Erfahrungen wachrufen. Die entfremdete Skulptur wird zum Spiegel menschlicher Empfindungen.
HNA 18. 9. 1995