Der ewige Kreislauf der Bilder

Mit der Doppelausstellung von Matt Mullican und Philippe Thomas beendet (vorerst) Prof. Tilman Osterwold seine Zeit als Leiter der Kunsthalle Fridericianum in Kassel.

Wir sind umgeben von Bildern, und tagtäglich entstehen unzählige neuer Bilder. Aber gibt es soviel zu entdecken und erfinden, daß diese Neuheiten wirklich originell sind? Wohl kaum. Das meiste wiederholt sich. Es ist alles gemalt, was zu malen ist, hieß es schon vor Jahren. So ist es kein Wunder, daß zahlreiche Künstler den Umgang mit Bildern thematisieren.

Der Amerikaner Matt Mullican sammelt Bilder, mit denen wir umgehen, um sie uns neu zu servieren. Er eignet sie sich an, indem er sie ordnet oder sie mit Hilfe der Frottage (Durchreibung) übernimmt. Die Wände im Fridericianum sind zutapeziert mit 441 Bildern, die Mullican einer Enzyklopädie entnommen hat. Sie sind dem Erklärungszusammenhang entzogen und auf ihre Zeichenhaftigkeit reduziert. Wer die von Braun Melsungen ermöglichte Ausstellung betritt, taucht förmlich in die Bildzeichen ein, die die Welt erklären. Doch die Erklärung verflüchtigt sich, weil die durchgeriebenen Zeichnungen von Pflanzen, Tieren, Maschinen und Gebäuden unscharf, verwischt und künstlerisch verfremdet erscheinen: Der ewige Kreislauf der Bilder nimmt den optischen Zeichen ihre Funktionalität.

Auch Philippe Thomas, der unter dem Namen „readymades belong to everyone“ agiert, beschäftigt sich mit dem Kreislauf der Bilder. Er zeigt zwölf große Fotos, die museale Räume dokumentieren, in denen unterschiedlichste Kunst- und Bildinformationen versammelt sind: Er macht also die Spiegelung der Kunst- und Bildverarbeitung im Museum spielerisch zum Thema.

Es ist eine intellektuelle Ausstellung, die auf sehr sinnliche und spielerische Weise anschaulich macht, daß auch die vertrautesten Bilder unerwartete
Begegnungen ermöglichen können. Die Ordnung ist alles. So gehören die Transportregale zum Ausstellungssystem: Wir können von dannen tragen, was gesammelt ist.

HNA 11. 12. 1996

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