Der Strick und die große Leere

Werkkomplexe der Künstler Georg Herold, Olaf Metzel und Thomas Schütte vereinigt die Ausstellung „Quo vadis?“, die ‘, Tilman Osterwold im
Kasseler Museum Fridericianum präsentiert.

Wer sind wir, wo stehen wir und wohin gehen wir? Es sind die immer gleichen Fragen, die sich die Menschen stellen. Es ist der Drang nach Ortsbestimmung und Sinngebung. Prof. Tilman Osterwold, der in diesem Jahr das Programm des Museums Fridericianum in Kassel bestreitet, hat diesen ewigen Drang auf einen kurzen Nenner gebracht, auf die Fragefloskel „Quo vadis?“ (wohin gehst du?).

Wenn er nun im Fridericianum Werkkomplexe von Georg Herold, Olaf Metzel und Thomas Schütte unter dem Titel „Quo vadis?“ vorstellt, dann signalisiert er, daß es nicht um die Selbstspiegelung von Kunst geht, sondern um Bilder und Skulpturen, die den Zustand und die Fragen der Gesellschaft im doppelten Sinne reflektieren: Sie greifen sie auf und geben sie fragend an die Betrachter zurück. Wer nach Utopien sucht, auf Visionen hofft, wird enttäuscht. Keine rosigen Aussichten – nur düstere Planentwürfe (Thomas Schütte), die Leere (Georg Herold) und der Galgenstrick (Olaf Metzel)?

Aber es wäre falsch, den Schluß zu ziehen, es bliebe nur der Strick: Der handwerklich perfekt geknüpfte Strick, der von Olaf Metzel stammt und der wie ein Mahnmal in einem sonst leeren Kabinett baumelt, heißt nicht umsonst „Strickmodell“. Die fatale Form entpuppt sich nämlich als Wachsguß. Die Schlinge würde gar nicht tragen, also hebt das Modell die anscheinende Aussichtslosigkeit selbst wieder auf.

Ähnlich verhält es sich mit Georg Herolds Doppelbild „VOID“: Eine schwarze und eine weiße Tafel, auf die mit Hilfe von aufgeklebten Backsteinen das Wort „VOID“ (leer) aufgetragen worden ist. Die beschworene Leere aber trügt, denn erstens besteht die schwarze Fläche aus Samt, ist also attraktiv ausgestattet, und zweitens ist durch das hinzugefügte Backsteinwort die Leere aufgehoben. In der Kasseler Ausstellung wurde das Doppelbild nun getrennt, so daß ein weiteres Element hinzukommt – die Leere dazwischen.

Selbst Schüttes 17teilige schwarz- gelb-rote Bilderreihe mit den Planentwürfen einer düsteren, unwirtlichen Welt ist kein Abgesang. Die Arbeit läßt offen, was Realität ist. Denn das Schlußbild zeigt, wie Zuschauer die Vorführung der Planbilder betrachten.

Die Gemeinschaftsschau besteht an sich aus drei Einzelausstellungen, die Tilman Osterwold als Kurator unter dem Titel „Urbane Realitäten“ für das in Stuttgart beheimatete Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) zusammengestellt hat, das deutsche Kunst im Ausland präsentiert. Dank seiner Verbindungen
konnte Osterwold die Werke nach Kassel holen, bevor sie auf Auslandstournee gehen. Die Ausstellung wird zu einer überraschend geschlossenen thematischen Schau, in der gleichwohl die Kunst ihre eigene ästhetische Kraft behauptet. Für diese Region eine spannende Begegnung, weil Schütte und Metzel hier als Bode-Preisträger wohl bekannt und alle drei als documenta-Künstier vertraut sind.

HNA 23. 5. 1996

Schreibe einen Kommentar