Gewalt, Tod und Trauer

Neben großformatigen Bildern von Keith Haring zeigt das Museum Fridericianum in Kassel drei Werkkomplexe des Amerikaners Robert Longo.

Zweimal, 1982 und 1987, war der Amerikaner Robert Longo (Jahrgang 1953) an der Kasseler documenta beteiligt. Longo, von dem man weiß, daß er an kein spezielles künstlerisches Medium gebunden ist und daß er häufig die Ausdrucksformen ändert, irritierte 1987 das Publikum mit seinen Arbeiten, die er nach Kassel geschickt hatte. Es waren Werke, die sich mit der Gewalt auseinandersetzten. Sie berührten aber deshalb merkwürdig, weil sie dies in marktschreierischer Weise taten und weil die Skulptur „All you Zombies“ aus der Zauberkiste der Surrealisten zu kommen schien.

Umso mehr überrascht die dreiteilige Werkgruppe, die Tilman Osterwold ergänzend zu der Keith Haring-Ausstellung durch Vermittlung des Düsseldorfer Galeristen Hans Mayer ins Museum Fridericianum holen konnte. Den Kern der Haring-Ausstellung bilden „Die Zehn Gebote“, die in der Alten Brüderkirche zu sehen sind. Im Museum Fridericianum werden darüber hinaus noch einige Gemälde aus Harings (1958 – 1990) letzten Lebensjahren gezeigt, die eine Wende vom plakativen Bild zur vielschichtigen Malerei andeuten.

Es ist verständlich, daß Osterwold dem Reiz erlag, ausgehend von Harings Bilderfolge „Die Zehn Gebote“ im Ausstellungstitel auch auf Longos religiöses Motiv zu verweisen: „Kreuze“. Diese Arbeit ist auch beeindruckend und im Fridericianum hervorragend eingerichtet: In einer Dreiecksformation stehen in der Rotunde sechs große weiße Kreuze aus Wachs auf Stahlplatten. Das Kerzenwachs läßt sie transparent und zerbrechlich erscheinen wie das Leben. Mehr als auf die Kirche und das Christentum verweisen sie auf den Tod. Sie wirken wie gewaltige Zeichen einer Kriegsgräberstätte. Die massiven Platten decken alles zu und sorgen für den nötigen Kontrast: „Wenn Himmel und Hölle die Plätze tauschen“ hat Longo die Arbeit genannt.

Auch wenn die drei Werkblöcke nicht als Einheit gedacht waren, fügen sie sich in dieser Ausstellung schlüssig zusammen. In einem Seitenkabinett, das etwas zu eng ist für die Installation, ist die Arbeit „Bodyhammers“ zu sehen – ein Steinblock, in den der Titel eingraviert ist, sowie darüber Graphitzeichnungen, Mündungsläufe von Pistolen darstellend. Man blickt der Gewalt und Vernichtung sozusagen ins Auge.

Die dritte Arbeit heißt „The Last Flag“ (Die letzte Flagge). Es ist das faszinierendste Stück der Ausstellung: Das amerikanische Sternenbanner ist hier zum Objekt, zur Skulptur geworden, die als gewaltiger Raumteiler diagonal im Saal steht. Diese Flagge symbolisiert nur noch das Ende und die Trauer. Longo hat ihr die bunten Farben verweigert und die Flagge (auf einem Holzkörper) aus schwarz eingefärbtem Wachs gestaltet.

Die Arbeit erzählt aber nicht nur davon, daß der amerikanische Traum ausgeträumt sei. Sie dokumentiert auch, daß einem der Lieblingsmotive amerikanischer Kunst, dem Sternenbanner, immer neue Ausdrucksformen abzugewinnen
sind.

HNA 18. 9. 1996

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