Wie ein Boxkampf auf der Leinwand

Mit einem Paukenschlag beginnt die Ära Osterwold am Museum Fridericianum in Kassel. Zu sehen sind Gemeinschaftsbilder von Andy Warhol, Francesco Ciemente und Jean-Michel Basquiat.

KASSEL . Drei weltbekannte Maler fanden vor elf, zwölf Jahren für kurze Zeit zusammen und malten gemeinsam. Zwei von ihnen, Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol, sind mittlerweile tot. Die Gemälde müßten eigentlich heiß gehandelt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Offenbar mochte die preisbestimmende Kunstszene diese Gemälde nicht. Anders ist nicht zu erklären, daß das Ergebnis dieser Zusammenarbeit (,‚Collaborations“) bislang in keiner repräsentativen Ausstellung zu sehen war.

Prof. Tilman Osterwold, der für ein Jahr das Ausstellungsprogramm im Kasseler Museum Fridericianum verantwortet und der die Werke seit langem kennt, gibt mit ihrer erstmaligen Präsentation einen hervorragenden Einstand. Hat man die Ausstellung gesehen, versteht man überhaupt nicht, warum die Bilder vorher keiner zeigen wollte. Die Schau profitiert davon, daß Osterwold ihr einen klaren und großzügigen Rahmen gegeben hat: Im Erdgeschoß hat er große fensterlose Säle geschaffen. Die Besucher werden dann über die Rotunden-Ebenen in das zweite Obergeschoß geführt, erleben wechselnde Werkkomplexe unter unterschiedlichen Bedingungen und erfahren das Haus wieder im Zusammenhang.

Von den 42 ausgestellten Werken ist der größte Teil (39) im Dialog des perfektionistischen Pop-Künstlers Warhol (damals 56 Jahre alt) mit dem:
24jährigen rabiaten, gegen den Strich arbeitenden Basquiat entstanden. Für Osterwold sind die Bilder einem auf der Leinwand ausgetragenen Boxkampf vergleichbar. Der eine reagierte auf den anderen, ergänzte Motive, übermalte sie oder führte sie weiter. Gab Warhol etwa die reine Farbe als Grundfläche vor und Symbole oder Logos aus dem Werbealltag, so setzte Basquiat seine groben Fratzen, ungelenken Schriftzeilen oder malerischen Auslöschungen dagegen. Umgekehrt übernahn Warhol wiederum Basquiat-Figuren als Siebdruckmotive, um auch sie als Muster und Klischees zu entlarven und mit neuer Bedeutung aufzuladen.

Aber es sind nicht nur formale Kämpfe, die da ausgetragen wurden. Die beiden Künstler reagierten. mit Symbolen und Schriftzeilen.auf Ereignisse der Zeit oder stritten um Drogen oder Ernährungsweisen Die aus dem Streit hervorgegangnen Gemälde sind, strenggenommen keine fertigen Kornpositionen Sie wirken wie wilde Collagen, Überkritzelte Plakatwände oder. Graffiti. Und doch sind sie mehr. Es ist, als hätte heimlich ein Dritter mitgemalt. Es ist nämlich im Mit- und Gegeneinander der beiden Künstler eine Ebene entstanden, in der ich die Malerei anscheinend frei und mühelos entfaltet und etwas zur Diskussion stellt, was in keinem Einzelwerk vertreten ist.

Oben, im zweiten Obergeschoß, erlebt man eine ganz andere Bilderwelt. Da sind die Gemälde zu sehen, in die der damals 32jährige italienische Jungstar Francesco Clemente einbezogen war. Mit ihm war nicht nur ein Dritter hinzugekommen, sondern in dieser Phase wurde auch eine regelrechte Systematik. entwickelt.

Das Ergebnis sind regelrechte Kompositionen, denen Clemente in den meisten Fällen ein malerisches Fundament gab. Die Bilder wuchsen in Schichten, sie gewannen in sich Halt, und sie tragen die Handschrift dessen, der jeweils zuletzt Hand anlegen durfte: Warhol entwickelte so aus einem von Clemente übermalten Basqiat-Bild eine ihm gemäße Siebdruck-Serie, umgekehrt verband Clemente mit seiner Malerei, was Warhol und Basquiat unverbunden hatten nebeneinander stehen lassen. Es sind Glanzstücke, Meisterwerke

HNA 3. 2. 1996

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