Eine Nebenlinie der Avantgarde

Drei Ausstellungen werden heute ab 15 Uhr im Kasseler Museum Fridericianum eröffnet. Im Zentrum: „Pro Lidice“ sowie die umfassende Vorstellung neuseeländischer Künstler.

Neuseeland liegt für uns nicht nur am anderen Ende der Welt, sondern gilt im Bereich der Kunst weitgehend als Niemandsland. Der einzige hierzulande prominente Künstler ist Boyd Webb (Jahrgang 1947), der 1982 an der documenta 7 beteiligt war; doch auch der wird kaum mit seinem Land, sondern eher mit seiner Wahlheimat England in Verbindung gebracht.

Durch seine Arbeit für die Biennale von Sydney lernte René Block, der nun die Kunsthalle im Fridericianum leitet, die neuseeländische Kunst kennen.
Doch das, was er von dort an Entdeckungen mitbrachte, ist weder unter dem Motto „Kunst der Peripherie“ abzulegen noch handelt es sich um Werke, die unserer Ermutigung bedürfen. Es ist wie mit dem Titel der Ausstellung „Toi, Toi, Toi“. Für unsere Ohren klingt er lustig, doch er ist ernst gemeint, denn „Toi“ heißt in der Sprache der neuseeländischen Ureinwohner Maori „Kunst“. Und die Dreifachnennung des Begriffs steht für die drei Generationen, die vorgestellt werden.

Im Grunde müssen wir uns fragen, wieso wir solange über eine Kunstszene hinwegsehen konnten, die eine kraftvolle Nebenlinie der Avantgarde hervorbrachte. Vor allem die mehrteiligen Bildtafeln von Colin McCahon (1919 – 1987) zwingen zu einer Neubewertung der Malerei-Entwicklungen. Colin McCahon begann mit einer stilisierten Landschaftsmalerei, die zwei Elemente enthielt, die sein gesamtes Schaffen prägen sollten. Das eine war seine Vorliebe, ein Gemälde aus mehreren Bildteilen zusammenzusetzen; das andere war sein Hang, Strukturen zu entwickeln, Symbole und Kürzel für seine Themen zu finden.

Colin McCahon schien in seiner Malerei die Welt neu zu bestimmen und zu verschlüsseln. Dabei waren seine künstlerisch- formalen Impulse genauso stark wie seine inhaltlichen, die sich aus tief empfundenen landschaftlichen Erlebnissen ebenso speisten wie aus religiösen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Seine frühen farbigen, comichaften religiösen Bilder (aus den späten 40er Jahren) faszinieren uns in gleicher Weise wie die schwarz-weißen oder braun-schwarzen Form-, Text und Schriftbilder der 60er und 70er Jahre, in denen sich McCa hon vom traditionellen Bild völlig verabschiedet hat. Zu der Zeit hat er für komplexe Inhalte (Kreuzweg) simple Symbolreihen gefunden.

Die Vorstellung des Werks von McCahon innerhalb der neuseeländischen Schau hat den Charakter einer Einzelausstellung. Das heißt: Hier wird die Gelegenheit geboten, ein uns unbekanntes Werk in seiner ganzen Tiefe kennenzulernen und ihm seinen gebührenden Platz in der Kunstentwicklung der Nachkriegszeit zuzuerkennen.

HNA 23. 1. 1999

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