Durch die Einbeziehung der Tafelzeichnungen von Rudolf Steiner hat die große Kasseler Beuys- Ausstellung eine neue Dimension gewonnen.
Ende der 60er Jahre begann der bis dahin vornehmlich als Bildhauer und Aktionskünstler bekannt gewordene Joseph Beuys (1921 – 1986), den engen Kunstbereich zu verlassen und seine politisch-gesellschaftlichen Vorstellungen in der Öffentlichkeit vorzutragen. Vieles erschien dabei widersprüchlich, weil es nicht den Denksystemen der Wissenschaft folgte, sondern weil dieses Denken organisch angelegt war und alle Erfahrungsbereiche des Lebens aktivierte. In der Rückschau wird unübersehbar, daß Beuys beim Entwickeln seiner Theorien, die Kunst und Kreativität als Quellen für ein gesellschaftliches System zu begreifen, sich nicht nur punktuell auf den Anthroposophen Rudolf Steiner (1861 – 1925) berief, sondern sich in seinen Denkstrukturen ihm stark annäherte.
Doch nicht nur das: In der Art und Weise, wie Steiner und Beuys jeweils ihren Zuhörern das Vorgetragene auf Tafeln anschaulich machten, kamen sie sich so nahe, daß in Einzelfällen die Tafeln vertauscht werden könnten. Nun ist es keinesfalls ungewöhnlich, Theorien mit Hilfe von Tafelzeichnungen zu erläutern. Außerordentlich hingegen ist die Tatsache, wenn solche Zeichnungen über Jahre und Jahrzehnte erhalten bleiben. Bei Steiners Kreidezeichnungen, die zwischen 1919 und 1925 entstanden, waren es gewiß nicht zuerst ästhetische Gründe, die Zuhörer bewogen, die Tafeln mit schwarzem Papier zu bespannen, um sie zu bewahren. Da wird es eher um die außerhalb der Worte liegende Kraft und Bewegung gegangen sein, die überliefert werden sollte.
Auch Beuys hat anfangs sicher nicht an die Produktion von Kunst- und Wirtschaftswerten gedacht, als er erläuternd auf Tafeln Begriffe und Zeichensysteme entwickelte. Als er beispielsweise 1977 auf der documenta unter der Honigpumpe seine Freie Internationale Universität betrieb, da war es für ihn selbstverständlich, daß jeder, der etwas zu sagen hatte, auch die Tafel zu Hilfe nehmen konnte. Heute freilich sind die Tafeln, die Beuys als die Verlängerung des Gedankens empfand, kostbare Kunstobjekte. Sie sind zu Reliquien geworden, weil der in den 70er Jahren zu Weltruhm gelangte Beuys nicht mehr vornehmlich Werke produzierte, sondern an der Ausgestaltung seiner Ideen zur sozialen Plastik arbeitete.
Nun sind im Kasseler Museum Fridericianum die Tafelzeichnungen von Beuys und Steiner erstmals an einem Ort gemeinsam ausgestellt. Kunsthallenleiter Veit Loers hatte sich die Präsentation als eine kleine Sensation vorgestellt. Nach der Entdeckung der Steinerschen Tafeln durch den Kunstbetrieb waren ihm aber einige Ausstellungshäuser mit dem Vorstellen der 70 Jahre alten Zeichnungen zuvorgekommen. Trotzdem bleibt das Fridericianum das erste Haus, das beider Arbeiten zusammenbringt und das die faszinierende geistige und bildnerische Nähe der Zeichnungen nachvollziehen läßt. Man sollte nicht der Gefahr erliegen, die Steinerschen Tafeln im Sinne des Kunstmarktes nur ästhetisch zu bewundern. Hier gerade besteht die Chance, in die geistigen Systeme von Steiner und Beuys einzudringen. Wichtige Hilfestellungen geben dabei das Buch Rudolf Steiner -Wenn die Erde Mond wird, Wandtafelzeichnungen 1919 – 1924 (DuMont Verlag, Köln, 86 Mark) sowie der Band, den Michael Bockemühl und Walter Kugler unter dem Titel Denkzeichen und Sprachgebärde (Verlag Urachhaus, Stuttgart, 76 S., 38 Mark) herausgegeben haben.
Veit Loers hat den verdienstvollen Versuch unternommen, Beuys Beiträge zu den documenten von 1964 bis 1982 zu rekonstruieren. Das ist nicht nur deshalb reizvoll, weil kein anderer Künstler so beständig an der Kasseler Ausstellung beteiligt war, sondern auch, weil es gerade die documenta-Arbeiten sind, die Beuys Entwicklung umfassend spiegeln. Auch wenn Loers manche Originalarbeit nicht bekommen konnte, weil sie nicht mehr ausleihbar ist, und auch wenn die Honigpumpe nach dem Willen des Künstlers nur noch als totes Relikt zu sehen ist, kam eine zwar etwas überdehnte, aber großartige und spannende Ausstellung zustande. Spannend ist sie deshalb, weil nicht wie bei den ersten Retrospektiven in Berlin und Düsseldorf der Zeichner und Bildhauer Beuys vom Denker und politischen Aktionskünstler isoliert wird. Hier wird Beuys als ein geschlossenes künstlerisch-politisches System sichtbar; es schließt sich der Kreis von den frühen faszinierenden Zeichnungen zum Spätwerk, bei dem er mit seiner Aktion 7000 Eichen das Museum verließ.
Über weite Strecken waren bei Beuys Werk und Person nicht zu trennen. Also bleibt eine solche Ausstellung zwangsläufig leblos. Die verschiedenen Video-Stationen helfen aber, die Lücken zu überbrücken.
Guten Tag,
wäre es möglich, anzugeben, wann die Austellung der Tafeln von Beuys und Steiner stattgefunden hat? Ich konnte es leider nicht aus dem Bericht entnehmen. Und: gibt es einen Katalog? Entschuldigen Sie meine Fragen, ich schreibe aus Brasilien, bin leider nicht aktualisiert, wenn man – frau das denn überhaupt sein kann.
Danke.
Entschuldigung, ich habe erst jetzt Ihre Anfrage gesehen.
Die Ausstellung zu Joseph Beuys und Rudolf Steiner fand im September 1993 im Museum Fridericianum in Kassel statt. Zu der Ausstellung erschien der Katalog „Joseph Beuys – documenta-Arbeit“ (Verlag Hatje Cantz)
Wichtig sind auch folgende Quellen: „Rudolf Steiner – Wenn die Erde Mond wird, Wandtafelzeichnungen 1919 – 1924“ (DuMont Verlag, Köln, 86 Mark) sowie der Band, den Michael Bockemühl und Walter Kugler unter dem Titel „Denkzeichen und Sprachgebärde“ (Verlag Urachhaus, Stuttgart, 76 S., 38 Mark) herausgegeben haben.
Mit bestem Gruß
Dirk Schwarze