Die dritte Heimat des Joseph Beuys

Der Kasseler Kunst Herbst steht im Zeichen von Joseph Beuys (1921 — 1986). Vier Sonderausstellungen widmen sich seinem Werk, dazu gibt es Vorträge und Seminare.

Das rheinische Kleve war seine Heimat. Dort wuchs der in Krefeld geborene Joseph Beuys auf, dorthin reichen zahlreiche Wurzeln seines späteren Werkes zurück. Seine zweite Heimat war Düsseldorf. Da studierte er bei Ewald Mataré, dessen Lehrstuhl er später erhielt, da hatte er bei Schmela seine erste Galerie-Ausstellung und von da aus veränderte er die Kunstlandschaft. Zu einer dritten Heimat wurde ihm schließlich Kassel – nicht nur wegen der documenta, an der er seit 1964 fünfmal aktiv teilnahm und auf der er zwei weitere Male nach seinem Tod mit Werken vertreten war.

Natürlich war es immer wieder die documenta, die ihn nach Kassel führte und die ihm Projekte realisieren half, an die er andernorts nicht denken konnte. Doch es war mehr als die Ausstellungsmöglichkeit, die ihn mit Kassel verband, es waren auch die Menschen, die ihn gern nach Kassel kommen ließen, vor allem jene, die in den 70er Jahren bereitwillig seine Ideen von der sozialen Plastik aufnahmen und mit umsetzten: Aus der Freien Internationalen Universität (FIU), die Beuys zur documenta 6 unter der Honigpumpe betrieben hatte, wurde in Kassel eine feste Einrichtung.

An Beuys‘ documenta-Beiträgen läßt sich die Entwicklung dieses Künstlers hervorragend nachvollziehen. Hatte er sich 1964 mit drei Zeichnungen und einer Bronzeskulptur beteiligt, so verließ er den traditionellen Boden, als er 1972 in der documenta 5 sein „Büro für direkte Demokratie“ betrieb. Zehn Jahre später hatte er ganz den musealen Raum verlassen, als er seine Aktion „7000 Eichen“ startete.

Die 7000 Bäume mit den 7000 Basaltstelen haben nachhaltig die Stadt verändert. Sie sind der eine feste Kasseler Bezugspunkt zum Beuys-Werk;
den anderen bilden die Zeichnungen, Objekte, Vitrinen und die Installation „Das Rudel“, die als ein geschlossener, noch von Beuys eingerichteter Raum in der Neuen Galerie zu sehen sind.

Für das Museum Fridericianum hat Veit Loers den Versuch unternommen, Beuys‘ documenta-Beiträge in Kassel erstmals zusammenzuführen. Nicht alle Arbeiten hat er bekommen können, weil manches fest in neue Werkzusammenhänge integriert ist, vor allem aber wird die alles belebende Gestalt des Künstlers nur per Bildschirm zu sehen sein. Trotzdem ist eine umfangreiche Ausstellung mit Zeichnungen, Tafeln und Objekten zustande gekommen. Unter dem Titel „Joseph Beuys. documenta-Arbeit“ wird die Ausstellung am Sonntag, 5. September, 11 Uhr, im Fridericianum eröffnet (bis 14. November).
Zeitgleich beginnt im selben Haus die Ausstellung „Rudolf Steiner – Andere Köpfe auf unseren Schultern“, die dem Denker gewidmet ist, der Beuys stark beeinflußt hat. Im Mittelpunkt werden dabei von Steiner bei seinen Vorträgen angefertigte Wandtafelzeichnungen stehen, die eine erstaunliche Verwandtschaft mit Beuys‘ Tafelzeichnungen aufweisen.

Einen Tag vorher, am Samstag, 4. September, 15 Uhr, wird in der Antikensammlung im Schloß Wilhelmshöhe eine Beuys-Schau mit 93 Zeichnungen und plastischen Bildern eröffnet. Die Werke, die aus der Sammlung van der Grinten kommen, sind unter dem Titel „Hauptstrom Jupiter“ dem Verhältnis von Beuys zur Antike gewidmet (bis 14. November).

Multiples (vervielfältigte Objekte) von Joseph Beuys zeigt vom 4. September (Eröffnung 19 Uhr) bis 30. Oktober die Galerie Siegfried Sander (Schönfelder Str. 3). Die vierte Beuys- Ausstellung ist ab Montag, 6. September, 19 Uhr, in der Hauptstelle der Stadtsparkasse Kassel, Wolfsschlucht 9, bis 15. Oktober zu sehen. Dort zeigt Dieter Schwerdtle Fotografien zu „Joseph Beuys in Kassel“.

Zu den Ausstellungen werden mehrere Vorträge angeboten. Zum erweiterten Kunstbegriff von Beuys gibt es vom 22. bis 24. Oktober eine Tagung an der Ev. Akademie Hofgeismar.

HNA 1. 9. 1993

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