Peiter umkreist Beuys

Eine mehr als 20jährige Bindung an die documenta und Joseph Beuys wird an diesem Wochenende wiederbelebt: Der Hamburger Interaktionskünst1er Thomas Peiter umkreist die Beuys-Ausstellung im Fridericianum.

Es war Sommer 1972. Joseph Beuys hatte für 100 Tage in der documenta 5 sein Büro für die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ eingerichtet und diskutierte Tag für Tag mit den Besuchern. Im selben Sommer stand die bundesdeutsche Gesellschaft unter dem Eindruck der Terror-Anschläge der Baader-Meinhof-Gruppe und der Jagd auf die Terroristen.

Genau zu jener Zeit wanderte der Hamburger Interaktionskünstler Thomas Peiter durch die Ausstellungsräume der documenta, um als „Dürer“ die Reaktionen der Besucher herauszufordern. Beuys fand Gefallen an der Aktion und irgendwann sagte er zu Peiter: „Dürer, ich führe persönlich Baader und Meinhof durch die documenta V“. Das war natürlich ebenfalls provokativ gemeint. Peiter nahm die Botschaft sofort auf und schrieb sie in ungelenker Schrift auf zwei gelbe Tafeln, die er in der Folgezeit quer durch die documenta trug.

Die Tafeln wurden schließlich zu eigenständigen Objekten: Durch die Hinzufügung von Filzpantoffeln erhielten die Tafeln „Füße“ und dank Klaus Staeck und seiner Mutter wurden die Pantoffeln ganz im Sinne von Beuys mit Fett und Rosenstielen gefüllt. Und Beuys als ein Künstler, der es verstand, alles seinen Ideen nutzbar zu machen, hatte nichts dagegen, die Tafeln in sein Werk einzubeziehen. Es dauerte nicht lange, bis die Tafeln als originale Beuys-Objekte gehandelt wurden und der Name des dahinter stehenden Aktionskünstlers Thomas Peiter vergessen war.

Nun sind die Tafeln als Relikte der documenta 5 nach Kassel ins Fridericianum zurückgekehrt. Hier wird auch bewußt gemacht, daß es sich um eine „Gemeinschaftsarbeit“ von Beuys und Peiter handelt. Auch Peiter ist nach Kassel zurückgekehrt. Er, der bei der jüngsten documenta als van Gogh aufgetreten war, wird an diesem Wochenende 67. Die Beuys-Ausstellung und die Wiederbegegnung mit seinen Tafeln nimmt er zum Anlaß, von heute bis Sonntag (1. bis 3. Oktober) seinen Geburtstag, Beuys und die Kunst in Kassel zu feiern.

Heute Vormittag wird er in dem offenen Raum im Durchgang des Zwehrenturms ein Gemeinschaftsenvironment
mit Kasseler Bürgern schaffen. Abends gibt es ab 23 Uhr ein Treffen im Studio Kausch und am Samstag und Sonntag lädt er zur Führung durch die Beuys-Ausstellung und Aktionen im und vor dem Fridericianum ein.

HNA 1. 10. 1993

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