Ein geschlossenes Bild

Zur Halbzeit der Beuys- Ausstellung im Fridericianum ist jetzt das Katalogbuch erschienen.

Fünfmal war Joseph Beuys aktiv an der Kasseler documenta beteiligt. 1964 war er noch als einer der jungen Künstler vorgestellt und von der Kritik nur beiläufig wahrgenommen worden. 18 Jahre später waren die Kameras der Welt auf ihn gerichtet, als er den Kunstraum verlassen hatte, um im Stadtgebiet die 7000 Eichen zu pflanzen und neben sie die 7000 Basaltstelen zu setzen. Auf die Frage, was für ihn denn die Abfolge der documenten bedeute, antwortete Beuys 1977:
„Für mich hat es eine ganz große Bedeutung dadurch gehabt, daß wichtige Stufen meiner Vorstellung von der Entwicklung der Kunst durch das, was ich auf der documenta gemacht habe, bis an den Punkt herangeführt werden konnte, wo das ganze Problem der Kunst selbst zutage treten kann.“

Johannes Stüttgen, der langjährige Mitarbeiter von Beuys, bringt es noch genauer auf den Punkt. Ausgehend von der Tatsache, daß Beuys bereits 1964 in seinem documenta-Beitrag den Tod thematisierte, meint er: „Der innere Aspekt dieses Todes zeigt sich augenblicklich, wenn man den Begriff der Plastik von Beuys selbst nimmt und sich klarmacht, daß seine ganze documenta-Geschichte nichts anderes war als die Herausbildung und Entfaltung dieses Begriffs.“ Das heißt: Beuys hat die documenta als den Ort zu nutzen gewußt, an dem er seine Vorstellungen von Kunst und die Erweiterung des Kunstbegriffs exemplarisch vorführen konnte. In dem Katalogbuch zur Ausstellung „Joseph Beuys. documenta-Arbeit“ (Edition Cantz, Stuttgart, 312 5., 380 Abb., 49 Mark in der Ausstellung) hat Stüttgen mit seinem aus der Innensicht geschriebenen Aufsatz den umfassendsten Beitrag zur Darstellung des Beuysschen Werkes am Beispiel der documenta geliefert. Hier wird klar, daß das Ausstellungsprojekt des Museums Fridericianum nicht nur lokale Aspekte hat und auch nicht nur im Dienst der documenta-Idee steht, sondern den Zugang zu einem Hauptstrang im Werk des Künstlers öffnet.

Der Katalog bietet sich als eine großartige Dokumenten-Sammlung an. Erstmals werden alle documenta-Arbeiten von Beuys fotografisch dokumentiert. Veit Loers und Pia Witzmann haben Funk- und Video-Interviews herangezogen und im Wortlaut veröffentlicht. Auch das Protokoll unserer Zeitung „Zehn Stunden Joseph Beuys“ von 1972 ist enthalten. Dazu kommen Berichte und deutende Darstellungen. Noch mehr, als die Ausstellung es vermag, läßt das Katalogbuch ein geschlossenes Bild von Beuys‘ documenta- Arbeiten entstehen.

HNA 13. 10. 1993

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