Zwischen Schönheit und Schrecken

Es ist eine kleine, aber unglaublich intensive Ausstellung, die von Richard Hamilton in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum zu sehen ist. Mit ihr wird Hamilton als Bode-Preisträger geehrt.

Der englische Künst1er Richard Hamilton ist ein Phänomen. Als er 34 Jahre alt war, da beteiligte er sich mit einer Arbeit an der Londoner Ausstellung „This is tomorrow“ ‚ die Geschichte machen sollte. Sein Raum mit Bildern aus Comics, Filmen und der Werbung sowie eine dazu angefertigte Collage markierten den Beginn der Pop-art in Großbritannien. Das war 1956. Vierzig Jahre später faszinierte er bei der documenta X wiederum mit einer nach vorne weisenden Arbeit: Sein Beitrag „Seven Rooms“ reflektierte das Verhältnis von Schein und Sein anhand der komplizierten Wechselbeziehung von Fotografie, Reproduktion, digitaler Bildbearbeitung und Malerei.

Dieser documenta-Beitrag war ausschlaggebend für die .Entscheidung des Stiftungs-Kuratoriums, Richard Hamilton den Bode-Preis für 1997 zuzuerkennen. Eines der Bilder aus dieser Arbeit wurde für die Neue Galerie angekauft. Vor diesem Hintergrund wirkte René Blocks Idee verlockend, in der Kunsthalle Fridericianum Hamilton eine Einzelausstellung zu ermöglichen. Mehrfach musste das Vorhaben aus finanziellen Gründen zurückgestellt werden. Nun aber wurde die Umsetzung im Zusammenhang mit der Arnold Bode-Ehrung möglich.

Die Ausstellung, die Block nach Kassel holte, ist bisher einmalig und hat exemplarischen Charakter: Hamilton zeigt erstmals im Zusammenhang unter dem Titel „Vier Räume“ Arbeiten, die er unter Einbeziehung der Architektur konzipierte. Es handelt sich durchweg um begehbare Raumbilder. Am Beginn steht die Rekonstruktion jener legendären Arbeit von 1956, die mit ihren schreiend bunten und wild erzählenden Collagen einen umwerfenden Eindruck von der Explosivkraft der Pop-art vermittelt. Aber auch eine andere Seite der Kunstentwicklung nahm Hamilton auf: Er schuf Wände und Elemente, die auf jene ornamentalen Effekte verweist, die unter dem Begriff Op-art Furore machten.

Nun verführen Arbeiten wie die von 1956 dazu, Hamilton als einen Künstler einzuordnen, der bloß optische Effekte nutzt. Auch die aus einer Postkarte entwickelte Arbeit „Lobby“ (1985-87), die eine gewöhnliche Hotelhalle mehrfach spiegelt, legt den Gedanken nahe. Aber Hamilton ist kein Künstler, der nur mit der Schönheit spielt. Genauso entschieden reagiert er auf die Schrecken der Welt, auf Gewalt und Ungerechtigkeit. Auch diese Seite aus Hamiltons Schaffen wird in der Ausstellung eindrücklich dokumentiert. Mit dem „Treatment Room“ (1983/84) schuf Hamilton einen Raum, der die Kälte und Unbarmherzigkeit eines Überwachungs- und Behandlungsraumes festhält. Hier ist nichts mehr zu verbergen, hier ist man ausgeliefert. Über dem Röntgen- oder Operationstisch hängt als Symbol der Überwachung ein Monitor, auf dem wie ein zynischer Kommentar Margareth Thatchers Rede zur Kürzung der Gesundheitsleistungen zu sehen und zu hören ist.

Noch drastischer und politisch-kitischer ist die Arbeit „Dirty Protest“ (1988), die an die unerträglichen Haftbedingungen der IRA-Häftlinge erinnert. Der Raum ist als Zelle gestaltet, in die man bloß hineinblicken kann. Im Zentrum hängt das Bild „The Citizen“, das einen Gefangenen als Jesus-ähnliche Gestalt mit langen Haaren und einer Decke über den Schultern zeigt. Die Wände sind mit brauner Farbe verschmiert. Da gibt die Malerei ihre schmückende Funktion auf und dokumentiert in illusionistischer Form den Protest der Gefangenen, die ihren Kot auf die Wände schmierten. Es ist güt und wichtig, dass diese beiden Seiten aus Hamiltons Werk zur Anschauung kommen. So erscheint die kleine, konzentrierte Ausstellung wie die Essenz eines Werkes, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kunst veränderte.

HNA 22. 12. 2000

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