Eine neue Basis

Es ist zweifelhaft, ob die Politiker wussten, worauf sie sich einließen, als sie sich dafür entschieden, Kassel den Ehrennamen documenta-Stadt zu geben. Gewiss haben sie die materiellen Konsequenzen dieser Selbstverpflichtung nicht bedacht.

Doch es gibt natürlich Leute, die, ohne den direkten Auftrag zu haben, an der Umsetzung dieser Verpflichtung arbeiten. An erster Stelle ist Kunsthallendirektor René Block zu nennen, der es wie kein anderer Ausstellungsleiter zuvor versteht, das Kunsthallenprogramm so zu positionieren, dass sich immer wieder wie von selbst eine Brücke zu documenta ergibt, ohne dass er ihr damit ins Gehege käme.

Dank Blocks Arbeit hat sich mittlerweile in der Republik herumgesprochen, dass auch außerhalb der documenta Kassel eine Adresse für die zeitgenössische Kunst ist. Und nun schickt sich Block an, mit seiner heute startenden Ausstellung „Das Lied von der Erde“ die Basis dafür zu legen, dass vielleicht die documenta-Stadt der Ort wird, von dem aus künftig weltweit ein Dialog der Biennalen moderiert wird. Die Stadt und die documenta können dabei nur gewinnen. Dieser Gewinn kann aber nur verbucht werden, wenn die Träger der documenta alles Erdenkliche tun, um Block über 2001 hinaus an Kassel und das Fridericianum zu binden.

Das Weltereignis documenta ist aber ohne das Fundament, das einst die Landgrafen durch die Schaffung ihrer Kunstsammlungen und durch die Gründung der
Akademie legten, nicht denkbar. Nun erhält in diesen Tagen der Kernschatz der Sammlung, die Gemäldegalerie und die Antikensammlungen, am vertrautem Ort ein neues Gehäuse. Es spricht viel dafür, dass wir vor allem die Alten Meister nicht nur in einem neuen Licht sehen, sondern dass das entstandene Raumgefüge mit seinen wechselnden Strukturen die Schönheit des Ortes und der Sammlungen erst richtig erfahren lässt.

Dieser Eindruck wird auch dadurch nicht geschmälert, dass die Museumsleute durch die politisch leichtfertige Zusage, den Eröffnungstermin am 20. Juni zu halten, zuletzt unter manchmal unverantwortlichen Bedingungen dort einrichten mussten, wo noch die Handwerker zu Gange waren. Und auch dadurch nicht, dass der Architekt am liebsten die politisch versprochene und optisch wie klimatechnisch notwendige Schrägverglasung auf dem Dach wieder abbauen würde. Die Antiken, die Alten Meister und das Schloss erfahren derzeit soviel Zuwendung von Seiten des Landes wie lange nicht. Neben der mehrstufigen Eröffnung werden gleich mehrere Pressekonferenzen vor Ort geplant und interne Vorbesichtigungen organisiert, während die Museumsleute nicht wissen, wie sie den Zeitdruck und notwendige Sorgfalt in Einklang bringen sollen. Man kann nur hoffen, dass das Interesse an Wilhelmshöhe auch nach dem 20. Juni anhält. Denn nur dann, wenn an dem Museum weiter gearbeitet wird und neue Anlässe zum Wiederkommen geschaffen werden, bleibt es die erhoffte Attraktion.

HNA 10. 6. 2000

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