Empfindungen unterschiedlichster Art provozieren die Arbeiten der in London lebenden Libanesin Mona Hatoum (Jahrgang 1952), die an der Kasseler Ausstellung Echolot beteiligt ist.
Wenn Kunst nicht bloß schmückt, erwarten wir von ihr, daß sie uns die Welt erklären hilft. Doch die Arbeiten von Mona Hatoum leisten weder das eine noch das andere. Schlimmer: sie scheinen sich jedem Zusammenhang zu entziehen und die Anfragen der Besucher kommentarlos an die Besucher zurückzugeben. Insofern sind die zwei Räume, die die in London lebende libanesische Künstlerin gestalten durfte, die vielleicht schwierigsten in der Ausstellung Echolot im Kasseler Museum Fridericianum.
Die Schwierigkeiten beginnen damit, daß Mona Hatoum mit ganz unterschiedlichen Medien (Stahlobjekte, Fotografien, Video, Haare) arbeitet und daß jede Werkgruppe für sich isoliert steht. Die Künstlerin benutzt nicht die Kunst, um Erklärungsmodelle zu schaffen. Vielmehr gestaltet sie Bilder und Objekte, die traditionelle Erfahrungen umkehren und widerstrebende Gefühle freisetzen.
Mona Hatoum ist eine politisch denkende Künstlerin, deren künstlerische Arbeit der Identitätsfindung dient. Man geht nicht fehl, wenn man das einer Performance entstammende Foto als Leitmotiv versteht. Es zeigt, wie zwei nackte Füße, um die Schuhbänder gebunden sind, die dazugehörigen Stiefel hinter sich herziehen. Das Bild provoziert automatisch Gedanken an Gewalt und Folter, aber auch an körperliche (nackte) Welterfahrungen. Die Besucher sind frei darin, für welche Gedankenverbindung sie sich entscheiden.
Um Bedrohung, Gewalt und Eingrenzung geht es auch in anderen Beiträgen: ein Diwan als massiver Stahlkasten, ein Schöpflöffel, dessen Löcher aggressiv verschraubt sind, und stählerne Vorhänge, die sich heben und senken. Das Vertraute wird fremd, im Naheliegenden offenbart sich die überraschende Bedrohung. Möglich wird das dadurch, daß sich die Dinge (und Menschen) häuten:
Die auf dem Boden liegenden Kugeln, die aus Körperhaaren geformt sind, machen diese Entfremdung vollkommen. Wie entfernt für uns selbst die vertrautesten Bestandteile des Lebens sind, offenbart die spektakulärste Arbeit in dem Raum, die die Besucher magisch anzieht und bei aller Faszination oftmals irritiert entläßt. An einem kleinen, für eine Person gedeckten Tisch liegt auf dem Teller nicht die Speise, sondern (per Videoprojektion) die Innenansicht der Körperöffnungen. Man blickt förmlich in sich hinein und kann verfolgen, welchen Weg die Nahrung nimmt.
Jenseits dieser neuen Einsicht kann die Arbeit auch eine ganz andere Bedeutungsebene berühren: Messer und Gabel neben dem Teller suggerieren, daß wir dabei sind, uns selbst zu verzehren.
HNA 11. 6. 1998