Über den Umgang mit der Zeit

Die bevorstehende Jahrtausendwende gibt Anlaß, über die Zeit nachzudenken. In Kassel werden für diesen Herbst zwei große Ausstellungen sowie eine Tagung zur Zeitproblematik vorbereitet.

Je mehr Zeitmesser uns umgeben, desto weniger Zeit scheinen wir zu haben. Und je schneller die Verkehrsverbindungen werden, desto größer
wird die Versuchung, den Terminkalender vollzupacken. Zeitmangel und Zeitstreß sind das Ergebnis. Wir leiden darunter, fühlen uns andererseits aber wie Ausgemusterte, wenn wir diesen Druck nicht spüren. So ist die beredte Klage „Keine Zeit“ sowohl Standard- als auch Status-Formel.
Aber wie gehen wir wirklich mit der Zeit um? Welches Verhältnis haben wir zu ihr und damit zu unseren Lebensumständen? Die Fragen stellen sich verschärft angesichts des nahenden Sprungs in das nächste Jahrtausend. Zahlreiche Künst1er des 20. Jahrhunderts haben sich darauf eingelassen. Sie begnügten sich aber nicht länger damit – wie etwa die Künstler des Barock – die Vergänglichkeit zu thematisieren, sondern sie ließen den Zeitablauf oder den Verfall zu einem Teil ihres Werkes werden oder nutzten Bild- und Objektserien zu Dokumenten des fortschreitenden Lebens.

Einer der markantesten Künstler dieser Bewegung ist der Japaner On Kawara (Jahrgang 1933), der Mitte der 60er Jahre damit begann, seine eigenen Raum- und Zeiterfahrungen festzuhalten und künstlerisch zu verarbeiten. Statt mit persönlicher Handschrift ein Bild mit irgendeinem Thema zu schaffen, ließ er an jedem Tag, an dem er malte, ein monochromes (einfarbiges) Gemälde entstehen, das in Druckschrift das Datum dieses Tages trug. Seine Malerei wurde auf diese Weise zu einem Versuch, sich der eigenen Identität zu versichern. On Kawara wird einer von über 50 Künstlern sein, deren Werke vom 5. September bis 14. November in der Kunsthalle Museum Fridericianum in Kassel gezeigt werden.

Die Liste der Künstlernamen liest sich wie ein Verzeichnis der Kunst unseres Jahrhunderts. Alle gezeigten Arbeiten eint, daß sie reflektierende und provozierende Beiträge zum Phänomen Zeit sind. Der Ausstellungstitel „Chronos & Kairos“ spiegelt mit Hilfe der beiden Götternamen die Spannung zwischen der vergehenden Zeit (Chronos) und dem richtigen Zeitpunkt (Kairos).

Während der Ausstellung finden (am 21. und 22. Oktober) die Millennium-Tage Kassel statt, die sich in diesem Jahr auch der Zeit-Problematik widmen und daher ihre Vor-Eröffnung in die „Chronos & Kairos“-Ausstellung verlegt haben. Die Zukunftskonferenz in der EAM-Zentrale wird unter der Leitung von Prof. Karlheinz Geißler (und Mitwirkung internationaler Experten) nahezu alle Aspekte der Zeit aufgreifen. Dabei werden die Zeitbudgets für Familie und Beruf ebenso eine Rolle spielen wie die Zeit als Finanzfaktor oder die Fragen nach Be- und Entschleunigung.

Das dritte Kasseler Projekt zum Thema ist erneut eine Gemeinschaftsarbeit von Staatlichen Museen und Wintershall / Gazprom. Die Ausstellung „Geburt der Zeit“, ebenfalls im Fridericianum (12. Dezember bis 19. März) begleitet den Wechsel ins Jahr 2000. Sie will versuchen, das Verhältnis zur Zeit kulturgeschichtlich aufzuarbeiten und wird Zeitmesser, kunsthandwerliche Objekte und Kunstwerke vereinen, die zum Messen und Spiegeln der Zeit dienten beziehungsweise die Vergänglichkeit bewußt machten. Die Ausstellung wird einen Bogen von der Antike in die Neuzeit schlagen und veranschaulichen, wie immer wieder die Menschen Herr der Zeit werden wollten.

HNA 12. 8. 1999

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