Der Drang, Geschichten zu erzählen

Parallel zu der Ausstellung Sophie Calle zeigt die Kasseler Kunsthalle Museum Fridericianum Arbeiten von jungen Künstlern, die mit neuen Medien und im Team arbeiten.

Künstlergruppen gab es immer. Die Expressionisten, die sich unter dem Namen „Brücke“ vereinigten, benutzten gleiche Motive und Modelle und entwickelten einen gemeinsamen Stil. Trotzdem blieben sie Individualisten, die jeder für sich arbeiteten. In der jüngsten Zeit melden sich vermehrt Künstlergruppen zu Wort, die nur als Team künstlerisch arbeiten und von denen es keine individuellen Werke gibt. Die Entstehung solcher Gruppen wird durch das Eindringen der neuen Medien in die Kunst gefördert.

In der Reihe, die unter dem Stichwort „Rundgang“ Arbeiten von Studenten und anderen jungen Künstlern vorstellt, präsentiert nun Tobias Berger im Fridericianum sieben Künstlergruppen. Die spannendste unter ihnen ist die Kasseler Formation, die unter dem Namen „Museum für werdende Kunst“ auftritt. Dieser Name steht für den produktiven Versuch, die heutige Ausstellungskulltur zu hinterfragen und gleichzeitig aus dem kritischen Ansatz mögliche neue Formen zu entwickeln. Dem Team, das sich vor zwei Jahren zum Kasseler Künstlerfest erstmals vorstellte, ist nur zu wünschen, dass es ihm möglichst lange gelingt, das Spannungsverhältnis zwischen institutioneller Kritik und neuer Präsentationsform aufrecht zu erhalten.

Zur laufenden Ausstellung schuf es einen poetischen Raum, der auf die hohe See und ins Weltall entführt: Auf der einen Seite sieht man eine blaue Wand, auf die die Planetennamen sowie die Begriffe Revolution und Rotation geschrieben sind; auf der gegenüberliegenden Wand sind zwei Leuchtkastenbilder mit Wassermotiven zu sehen; dazwischen ein Pfeiler mit Steuerrad und Kompass. Ergänzt wird die Installation auf der Stirnseite durch Bildvorstellungen, die Freunde der Gruppe ein- schickten. Dieser Beitrag lässt spüren, dass die Zeit der naiven Kunstproduktion vorbei ist, dass man aber trotzdem nicht auf das Suchen nach neuen Formen verzichten muss.

An der Ausstellung überrascht, wie groß der Drang ist, Geschichten zu erzählen. Tobias und Raphael Danke tun das in einer aufwändigen Rauminstallation, die mit zeichnerischen Mitteln vom schrecklichen Ende eines Playboys erzählt, um dann auf der plastischen Ebene ganz andere Fragen zu berühren. Von der Erzähllust getrieben sind auch Dagmar Keller und Martin Wittwer, die sich auf einer Doppel-Video-Projektion mit der Eigenheimidylle und der Traumwelt (Neuschwanstein) auseinander setzen.

Faszinierend ist auch der Beitrag des Pantombüros, dessen Irrgarten halb Skulptur, halb Architektur ist und das aufnimmt, was Kurt Schwitters mit seinem Merzbau anstrebte. Die neuen Medien bestimmen diese fünfte „Rundgang“-Folge. Einer der schönsten Beiträge ist das Bild der Kasseler Gruppe Candela 2: Man glaubt, auf ein altes Gemälde zu blicken. Das Bild einer sitzenden Frau, die in eine Flamme blickt, entpuppt sich aber als Fotografie, die wiederum Teil eines Videos ist – denn die Flamme bewegt sich.

HNA 6. 5. 2000

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