Das Leiden am Kulturgehabe

Politisch hintergründig, witzig und auch poetisch ist das neue Ausstellungspaket, das die Kunsthalle Fridericianum ab heute präsentiert.

Das hätte sich der CDU-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, nicht träumen lassen, dass er mit seinem Unwort von der „deutschen Leitkultur“ das Motto für eine Kunstausstellung vorgehen würde. Tobias Berger, Mitarbeiter von René Block in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum, griff das Schlagwort in seiner englischsprachigen Fassung (,‚German Leitkultur“) auf und suchte Kunststudenten, deren Arbeiten dazu passen oder die mit dem Thema etwas anfangen können. Das Ergebnis ist vielfältig und lebendig und dokumentiert das Leiden der jungen Künstler am falsch gepolten Kulturgehabe.

Man kann es auch anders sehen: Die jungen Künstler treiben mit ironischen und multikulturellen Mitteln den Anspruch auf „German Leitkultur“ aus. René Lück (Berlin) hat die Chance hervorragend genutzt, die Einstimmung in diese Gruppenausstellung junger Kunst (,‚Rundgang VII“) geben zu können. Er hat das mit der deutschen Fahne umwickelte Podest nachgebaut, von dem einst Ronald Reagan in Berlin den Abriss der Mauer forderte. Aber bevor man triumphierend meinen könnte, die Geschichte habe alles zum Guten gewendet, stolpert man über Modellhäuser, die an die ausländerfeindliche Wirklichkeit (etwa Brandanschlag in Solingen) erinnern.

Der Blick auf solcherart „German Leitkultur“ ist ernüchternd, wenn man in der Installation von Bettina Pousttchi (New York/Köln) sieht, wie isoliert und introvertiert sich ein Heavy-Metal-Musiker in seiner Matratzen-Höhle austobt. Auch die per Video dokumentierte Joghurt-Schlacht von zwei Kämpfern (Dirk Meinzer, Hamburg) ist mehr beklemmend als lustig. In diesen Arbeiten wird lediglich nur zugespitzt, was über uns täglich kübelweise von einzelnen Fernsehsendern ausgeschüttet wird.

Doch die Weitung des Blicks sorgt auch für Bereicherung. In der ebenso ansprechenden wie anrührenden Installation von Anny und Sibel Öztürk (Frankfurt) stoßen die Kulturen unvermittelt aufeinander: Per Video werden die Pop-Königin Madonna und die Bauchtänzerin Magdalena konfrontiert. Dazu sind auf den sonnengelben Wänden kleine Zeichnungen aus der türkischen Familienwelt zu betrachten.

Dies ist eine der stärksten „Rundgang“-Ausstellungen überhaupt. Auf die anderen beiden großen Einzelausstellungen von Rolf Julius (Klanginstallationen und Partituren-Bilder) sowie von Claus Böhrnler (Zeichnungen, Objekte, Installationen) werden wir noch zurückkommen.

HNA 31. 3. 2001

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