Die Kunsthalle als großes Kino

Eine reine Video-Ausstellung zeigt ab heute (21 Uhr) die Kasseler Kunsthalle Fridericianum. Unter dem Titel „Looking at you“ werden Arbeiten von 30 Künstlern aus 30 Jahren vorgestellt.

Humphrey Bogart, so wie wir ihn aus dem Kultfilm „Casablanca“ kennen, ist zum Schutzheiligen des modernen Kinos geworden. Sein berühmtes „Ich seh‘ dir in die Augen, Kleines“ schwebt denn auch wie ein Heiligenschein über der Video-Ausstellung, die René Block in der Kunsthalle Fridericianum organisiert hat. Nach Comic-Art hat Claus Böhmler die Schlüsselszene aus „Casablanca“ in ein Plakatmotiv verwandelt, auf dem in Ingrid Bergmans Sprechblase ganz unprogrammmäßig zu lesen ist „But I love Paik“.

Und wer ist Paik? Das ist ein anderer Schutzheiliger: Der in New York lebende Koreaner Nam June Paik ist der Pionier und Großmeister der Videokunst. Eine Ausstellung, die sich mit künstlerischen Video-Arbeiten beschäftigt, kommt an ihm nicht vorbei. Deshalb hat René Block ihn dazugeholt, auch wenn seine Ausstellung vornehmlich Arbeiten der letzten drei Jahre vorstellt. Von Paik wird die Dokumentation einer Satellitenübertragung gezeigt, die dieser am 1. Januar 1984 zum Beginn des Orwell-Jahres organisierte.

Neben der Foto- hat die Videokunst in den letzten Jahren einen unglaublichen Siegeszug durch die Ausstellungen vollbracht. Mit der Videotechnik entdeckten die Künstler einerseits neue Ansätze zur Bild- und Medienreflexion; zum anderen erstarkte wieder die Lust am Erzählen, die durch abstrakte Kunst und Minimalart verdrängt worden war. Die derzeit in Venedig laufende Biennale ist ein Beispiel für den vorherrschenden Trend, dass man in Großausstellungen mehr Video-Räume als Malerei sieht. Das Nebeneinander von offenen Hallen und abgeschotteten Videoräumen ist für die Ausstellungsdramaturgie nicht förderlich, weil sich die bewegten und vertonten Bilder oft in den Vordergrund drängen, ohne immer verstanden zu werden. Denn viele Besucher haben nicht die Geduld, sich auf längere Sequenzen einzulassen. Im Vorübergehen sind nur wenige Arbeiten zu verstehen.

Deshalb ist eine reine Video- Ausstellung lobenswert. Sie wertet das relativ junge künstlerische Medium auf und signalisiert allen Besuchern, dass in diesem Fall die Kunsthalle wie die Abfolge kleiner Kinosäle zu erleben ist. In vielen Räumen, in denen längere Sequenzen und Geschichten zu erleben sind, stehen auch Bänke, Stühle oder Sessel, die zum konzentrierten Sehen einladen.

Bei der Auswahl hat Block auf die Video-Skulptur und die große Video-Installation weit gehend verzichtet. Er konzentrierte sich auf die Filmbänder und die Erzählweisen. Einige Künstler und deren Arbeiten kennen wir ansatzweise schon von früheren Ausstellungen im Fridericianum. Ayse Erkmen hatte in „Echolot“ Bildschirmschoner entwickelt, bei denen Landminen als hüpfende und fliegende Objekte zu sehen sind. Aus dieser Arbeit hat sie, mit Geräuschen unterlegt, in der Rotunde eine heiter scheinende, aber beklemmende Installation entwickelt. Auch Sooja Kim war mit dem Video von in einer Straße laufenden Menschen schon in „Echolot“ vertreten. Claus Böhmlers Video „Record Archive on Videotape“ hingegen war in der jüngsten Ausstellung des Hamburger Künstlers im Fridericianum zu sehen: Man blickt auf einen Monitor, auf dem man nichts anderes als einen Plattenspieler in Funktion sieht. Aus den Lautsprechern hört man dazu eine Collage von Text- und Musikstücken. Dieses bewusste und ironische Auseinanderfallen der Ebenen ist eines der Schwerpunktthemen dieser Ausstellung (darauf werden wir noch zurückkommen). Überhaupt gibt es viel Heiteres und Unterhaltendes. Das kann man allerdings nur einschätzen und kennen lernen, wenn man viel Zeit mitbringt oder mehrfach kommt.

HNA 11. 8. 2001

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