Bis zum 23. November läuft in der Kunsthalle Fridericianum die Ausstellung In den Schluchten des Balkan, an der 88 Künstler beteiligt sind. In einer Artikelfolge stellen wir einzelne Arbeiten vor.
Welche Rollen spielt der Mensch in seinem Leben? Die Frage stellt sich unwillkürlich, wenn man die Porträts des bulgarischen Künstlerduos Boris Missirkov & Georgi Bogdanov betrachtet. Die beiden haben Altenheim-Bewohner fotografiert und sich dabei solche Personen herausgesucht, die früher im kulturellen Leben eine Rolle spielten, also die Öffentlichkeit gewohnt und populär waren.
Noch einmal können diese Menschen in eine Rolle schlüpfen. Denn jeder, der sich vor einem Fotografen in Positur bringt, kostümiert sich im übertragenen Sinne und übernimmt eine Rolle. Hier nun, bei den Porträts im Altenheim, verschaffen Missirkov & Bogdanov den fotografierten Menschen ihren vielleicht letzten großen Auftritt. Das nebenan reproduzierte Bild ist in dieser Hinsicht programmatisch: Die porträtierte Frau wird von einem Vorhang umrahmt, der sich eines Tages vor ihr schließen wird.
Wer und was sie waren, erfahren wir nicht. Auch die Bildtexte verraten nichts von den Veteranen der Kultur. Allerdings senden die Fotos eine klare Botschaft aus: Sie zeigen uns Menschen, deren Gesichter von einer lebendigen Vergangenheit erzählen und die sich durch Stolz auszeichnen. Die Fotos strahlen folglich Wärme aus. Möglicherweise verweisen die Bilder noch auf andere, tiefere Schichten, die wir als ferne Betrachter nicht kennen. Denn die Zeit, in der diese Menschen aktiv und populär waren, war die Ära der politischen Gewaltherrschaft. Die Porträtierten stehen also wahrscheinlich für eine untergegangene Kultur, mit der viele nichts mehr zu tun haben wollen. So sind diese inszenierten Porträts nicht nur als späte Würdigungen anzusehen. Die Fotos sind vielleicht für jüngere Bulgaren auch Dokumente des Widerspruchs. Aber diese Dimensionen können wir im besten Fall nur erahnen. Unsere Wahrnehmungskraft
muss sich mit der Oberfläche zufrieden geben.