Die Wiederkehr des Banalen

1968 – Andy Warhols „Marilyn“

Die Filmschauspielerin Marilyn Monroe war 1962 im Alter von 36 Jahren aus dem Leben geschieden. Ihr früher Tod sollte ihren Stern noch heller strahlen und sie noch begehrenswerter erscheinen lassen. Denn nach dem Selbstmord wurde das Idol der Filmwelt nun auch als das Opfer einer Medienindustrie gesehen, die Menschen benutzt und skrupellos verbraucht.

Noch im selben Jahr schuf Andy Warhol (1930-1987) die ersten Bildtafeln zu Marilyn. Waren es nachgetragene Liebeserklärungen? Eher nicht. Denn Warhol ging mit dem Porträt der Schauspielerin nicht anders um als mit den Werbemotiven (Cambells Suppendosen oder den Cola-Flaschen): Die Bilder waren zu Produkten geworden und als Klischees verkommen, massenweise vervielfältigt – ohne einen Rest von Individualität.

Für Andy Warhol war es kein großer Schritt, sich künstlerisch mit den Motiven der Werbewelt auseinander zu setzen. Er war selbst aus der Werbewelt gekommen. Insofern begab er sich auf natürliche Weise in die Nähe der Pop-Art-Künstler, die in Ablehnung der expressiven und abstrakten Kunst ihre Bildthemen in der Alltagswelt suchten. Die Ende der 50er-Jahre in England und in den USA entstandene Pop-Art-Bewegung setzte dem Künstlichen und Erfundenem das Banale gegenüber. Unversehens waren die aus der Kunst vertriebenen figürlichen Darstellungen wieder da – und zwar so platt, wie sie in der Konsumwelt erscheinen.

Andy Warhol hielt sich an die Ikonen der amerikanischen Wirklichkeit. Dazu gehörten neben den Suppendosen und Cola-Flaschen nicht nur Superman, sondern auch der elektrische Stuhl sowie Bilder vom Tod und Unglück. Warhol verklärte nichts. Die gesellschaftlichen Konflikte waren in seinem Werk von Anfang an mit aufgehoben.

Eine frühe doppelte Bildtafel (Diptychon) zeigt Marilyn Monroe 50-fach. Die Wiederholung der immer gleichen Bilder steht für die massenhafte Verbreitung und den Verlust der Individualität. Doch diese Art der Offenlegung und Ironisierung wird auch zum Markenzeichen Warhols und damit zu einem Element seiner künstlerischen Handschrift, so wie man die Bilder von Roy Lichtenstein an den Punktrastern erkennen kann, die er den Comic-Bildern entnommen hat.

Warhol blieb über Jahre seinem Themenspektrum treu. Immer wieder verarbeitete er Porträts von Marilyn auf neue Weise. Zur documenta 4 kam von ihm eine Zehner-Gruppe von Marilyn-Bildern, die von einem gewandelten Arbeitsverständnis kündeten. Zwar sah man sich wiederum dem stets gleichen Porträtbild gegenüber. Das Prinzip der Reihung und Vermassung war noch beherrschend. Aber zugleich stand jede Komposition für sich, weil Warhol systematisch Farbvariationen durchgespielt hatte.

Er hatte schon immer gern seine Motive verfremdet. 1964 verfärbte sich Marilyns blondes Haar auf einem Warhol-Bild strohgelb, ihr Gesicht wurde pinkfarben, nur die Zähne blieben weiß und der Mund rot. In der 1968 gezeigten Bilderserie wandelten sich die Farben des Hintergrunds ebenso konsequent wie die des Kopfes. Mal erschien das Gesicht grün, dann wieder blau oder rot. Warhol spielte mit der Umkehrung und Ergänzung der Farben und verhalf auf diese Weise jedem einzelnen Bild zu seinem individuellen Ausdruck.
Die Serie war ein Beweis dafür, dass sich Warhol auf einen neuen Weg begeben hatte. Im Laufe der Jahre kam er, der das Porträt ironisiert hatte, dazu, selbst wieder Porträts zu schaffen. In den 70er- und 80er-Jahren schließlich war er zu einem weltweit am meisten gefragten Porträtisten geworden. Jeder, der sich für prominent hielt, wollte auf der Grundlage eines Fotos von Andy Warhol nach dem Prinzip der Fehldruckfarben porträtiert werden. Mit seinen Marilyn-Bildern aber hatte er etwas erreicht, was er zu Beginn wohl kaum beabsichtigt hatte: Das als Klischee vorgeführte Porträt wurde allmählich zur Ikone, verklärte sich und den dargestellten Star und steigerte den Kult um Marilyn weiter ins Unermessliche. Das, was als massenhaftes Abbild ursprünglich gedacht war, wurde zum Schlüsselbild eines Künstlers, der selbst ein Idol der Welt wurde, die er in seinen Bildern beschwor. Das Abbild des Künstlers steht schließlich in einer Reihe mit den Markenzeichen des 20. Jahrhunderts.

Aus: Meilensteine – documenta 1-12

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