Malerei ohne Grenzen

1968: James Rosenquist: Fire Slide

Malerei als Überwältigung. Wer 1968 in der Rotunde des Fridericianums die Treppe hochstieg, musste sich wie ein winziger Zwerg fühlen. Denn die gegenüberliegende, mehr als acht Meter hohe Wand war von einem Gemälde bedeckt, das schon in seinen Ausmaßen unbegreiflich schien. Doch seine überwältigende monumentale Wirkung gewann das Bild erst dadurch, dass es wie ein Ausschnitt aus einer noch größeren Komposition wirkte. Denn man sah die Hosenbeine und Schuhe eines Mannes, der an einer Stange herunterrutscht. Offenbar ein Feuerwehrmann auf dem Weg zum Einsatz. Daher auch der Titel: Fire slide heißt Feuerrutsche.

Die Frage, wie groß das Bild hätte sein müssen, wenn man den ganzen Feuerwehrmann hätte sehen wollen, macht schwindlig. Alle herkömmlichen Vorstellungen von Malerei waren über Bord geworfen. Vergessen war, dass noch die von Arnold Bode und Werner Haftmann vier Jahre zuvor gemeinsam organisierte documenta die Abstraktion propagiert hatte. Nun aber wurde mit einem über zwei Etagen reichenden Bild die Pop-Art gefeiert. Genau genommen hatte die Pop-Art ihren Höhenpunkt schon überschritten. Doch mit der Präsentation der Werke von Warhol und Wesselmann, von Lichtenstein und Indiana, von Oldenburg und Rosenquist wurde ihr in Deutschland der museale Segen zuteil.

James Rosenquist (Jahrgang 1933) ist oft verkannt und unterschätzt worden. Weil er, um Geld zu verdienen, über Jahre als Plakatmaler gearbeitet und dabei auch Riesenformate bewältigt hatte, wurden seine Wand füllenden Gemälde oft als eine Fortsetzung der Plakatmalerei mit anderen Mitteln eingestuft. Aber nicht nur sein zuvor absolviertes Kunststudium bewahrte Rosenquist vor einem naiven Umgang mit den Formaten und Motiven. Er hatte sich schließlich zu Beginn seiner eigenen künstlerischen Arbeit mit der Aktionsmalerei eines Jackson Pollock beschäftigt. Auch ist Rosenquist ein äußerst kritischer Kopf, der die Alltagsdinge wie Oldenburg ins Gigantische vergrößert und der sie durch die Wahl der Farben ins Süßliche wendet.

Der Künstler konzentriert sich auf die Abbildung der Oberfläche. Im Grunde macht er deutlich, dass sich vieles in den äußerlichen Reizen erschöpft. Wie beim Plakat sucht er nicht die tiefgründigen Effekte, sondern setzt auf die unmittelbare Faszination. Zahlreiche Großformate sind Collagen, Aneinanderreihungen nicht zusammenhängender Motiv, die als Ganzes fast wieder in die Abstraktion verweisen. In einigen seiner über 20 Meter langen Werke dachte Rosenquist über das Bild hinaus in den Raum. So hatte er seine Arbeit „Scheuklappen“ (1968/69), die heute dem Museum Ludwig in Köln gehört, als ein Raumbild konzipiert.

James Rosenquist hat viel experimentiert und auch Wege jenseits der Monumentalmalerei ausprobiert. Beispielsweise schuf er 1968 eine Skulptur, die aus einem abgesägten Baum bestand, auf den er Neonröhren montiert hatte. Auch gilt er mit seinen zeitweise radikal realistisch gemalten Bildern als ein Vorläufer der Fotorealisten. Der Maler ist jedoch bis heute seiner fröhlich-bunten Malerei treu geblieben, die auf verwirrende Größe setzt.

Die Pop-Art hatte 1968 in der documenta so etwas wie einen Höhenrausch verursacht, der keinesfalls nur auf Beifall stieß. Dabei übersahen viele Besucher und Kritiker, dass einzelne Künstler wie Robert Rauschenberg, Andy Warhol oder Claes Oldenburg ihre Arbeiten aus einem kritischen Verhältnis zur Gesellschaft und Politik entwickelten. Das galt auch für James Rosenquist, der 1965 ein 26 Meter langes Bild geschaffen hatte, das als zentrales Motiv den Düsenjäger F-111 zeigte, den er mit Figuren und Konsumartikeln kombiniert hatte. Damit hatte er dieses selbstverständliche Nebeneinander von Fixierung auf Konsum und Wohlstand sowie von permanenter Bedrohung thematisieren wollen.

Aus: Meilensteine 1-12

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