Die Bilder entstehen im Kopf

Der Kasseler Kunstverein präsentiert Zeichnungen von Silvia Bächli, die mit einfachen Zeichen die Welt neu buchstabieren.

Fast mehr noch als die Malerei befindet sich die Zeichnung da, wo sie nicht nur Vorzeichnung (Studie) ist, in einer Krise. Sieht man einmal von den Künstlern ab, die den Spielarten des Realismus treu geblieben sind, dann muss man feststellen, dass den Zeichnern die Ursprünglichkeit abhanden gekommen ist. Es scheint, als würden sie sich tastend vorarbeiten, um den verbrauchten Bildern zu entgehen. Behutsam buchstabieren sie die Sprache der Zeichnung neu, zitieren Möglichkeiten und vermeiden das in sich geschlossene Bild.

Ein gutes Beispiel dafür liefert die Ausstellung von Silvia Bächli. Hier sieht man eine Hand auf einem Blatt, dort ornamentale Linien und da andeutungsweise Blumen. Die Motive geben sich bescheiden, nehmen nur selten das ganze Blatt in Anspruch und wirken manchmal so, als wären sie nur beiläufig eingefangen.
Auch machen die Blätter nur sparsam Gebrauch von den Wänden. Die Reduzierung der Bilder gibt den Formen zusätzlich Gewicht. Dabei fordert die Künstlerin die Mitarbeit der Betrachter heraus. Die sollen nämlich über das einzelne Bild hinaus blicken – auf die Bildgruppe, die Silvia Bächli zusammengefügt hat. Denn die Künstlerin arbeitet seriell, sucht dann am Ende einige wenige Bilder aus und wählt zwischen ihnen solche Abstände, dass ein (Zusammen-)Klang entsteht. Dieses übergreifende Bild muss im Kopf der Betrachter entstehen.

Auch dieses Mosaik ist kein erklärendes Bild, es illustriert aber Haltung und Temperament, es berührt Erfahrungen und fängt Stimmungen ein. Silvia Bächli geht mit ihren Eindrücken von Landschaften, Menschen und Objekten assoziativ um. In einer Zeit, in der wir von Bildern erdrückt werden, beschränkt sie sich auf Zeichen, auf den Hauch von Bildern. Sieht man dann alles zusammen, dann ergibt sich ein recht gut funktionierender Spiegel der Welt – wie in dem Raum, in dem ein fortlaufender Fries aus Island-Zeichnungen zu sehen ist.

Anschaulich wird die künstlerische Haltung von Silvia Bächli durch die ausschnitthaften (oft digital bearbeiteten) Fotos, die ebenfalls ausgestellt sind. Die meist in Zeitschriften gefundenen Fotos sammelt die Künstlerin wie ihre Zeichnungen. Die eine Technik ist keine Vorlage für die andere. Die Fotografie macht aber die Flüchtigkeit der Bilder bewusst, die Bächli thematisiert.

HNA 26. 10. 2000

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